Was ist Street Photography? Was genau steckt hinter dem Begriff Streetfotografie, und wie ist die Straßenfotografie entstanden? So oder ähnlich werde ich immer wieder gefragt, wenn ich davon erzähle, Streetfotografie zu betreiben. Manche Menschen fragen sogar, ob ich wirklich nur irgendwelche Straßen fotografiere.
Und es gibt auch diejenigen, denen selbst meine Erläuterungen wenig Klarheit verschaffen, und die mich anschließend weiterhin fragend ansehen. Nun ist es tatsächlich gar nicht einfach, in kurzen, knappen Worten eine inhaltlich ausreichende Antwort darauf zu geben, was es alles auf sich hat mit diesem spannenden Feld der Straßenfotografie.
Eine scharfe, knackige 3-Sätze-Definition, die vor allem denen hilft, die nicht im Thema sind, fällt mir auch keine ein. Aber etwas grundsätzlicher und ganzheitlicher betrachtet, möchte ich in meinem Artikel daher einen Bogen spannen von den historischen Grundlagen der Streetfotografie, über die Einordnung in der Kunst, die grobe Einbettung in die Gesetzeslage, bis hin zu aktuellen Informationen zu diesem spannenden Metier. Außerdem spannt dieser Artikel auch einen Bogen zu meinem umfangreichen Tutorial zur Street Photography hier bei *fotowissen.eu, wozu Sie den entsprechenden Link weiter unten finden werden. Die Fotografien, die ich im Beitrag zeige, sind allesamt im JPEG-Format belichtet mit der Fujifilm X-T3 und 35mm Brennweite (APS-C).
Foto oben: Was ist Street Photography? Antworten auf die Fragen beleuchten die Historie, die moderne und digitale Street Photography, die DSGVO, den Stellenwert in der Gesellschaft und Empfehlungen.
Inhaltsverzeichnis
Historie der Street Photography
Das, was sich hinter dem Begriff Streetfotografie verbirgt, ist deutlich älter als der Begriff selbst. Fotos vom Menschsein und dem Wirken im urbanen Lebensraum wurden schon immer belichtet. Vieles davon fiel in den Bereich von Dokumentation, Reportage oder auch Milieustudie. Seit es Kameras gibt, besteht die hohe Motivation, das Menschsein in den Straßen einzufangen.
Als „Instantaneous Photography“, also als sofortige, spontane Fotografie, bezeichnete man in den Ur-Anfängen in den 1850er-Jahren das, was z.B. der französische Fotograf Charles Nègre machte. Diese frühe Art der Straßenfotografie entwickelte sich stetig, und profitierte dann zunehmend von der fortschreitenden Entwicklung der Kameratechnik. Die Kameras wurden kleiner, handlicher, in ihrer Bedienung schlichter, vor allem aber auch erschwinglicher.
Revolution Street Photography
Mit der fortgeschrittenen Kameratechnik bekamen auch immer mehr Menschen die Möglichkeit, sich mit (überhaupt so etwas wie Straßen-) Fotografie auseinanderzusetzen. Öffentlich erkennbar, entwickelte sich in die 1930- und 1940er-Jahre hinein das uns heute normal erscheinende Gespür dafür, entscheidende Momente wahrzunehmen und festzuhalten. So z.B. von Henri Cartier-Bresson, Robert Doisneau, Vivian Maier, und etwas verzögert auch von Helen Levitt (siehe Link zum Artikel am Ende des Beitrags!). Ein erster, ernst zu nehmender Trend von Streetfotografie entstand, doch es war in diesem frühen Stadium alles andere, als etabliert. Im Grunde kam es einer Revolution gleich, wie wir sie uns heute kaum vorstellen können.
Was später dann hinzukam, war die fotografische Berichterstattung von Kriegen mit seinen Auswirkungen an seinen Schauplätzen und auf das Alltagsleben der betroffenen Zivilbevölkerung. Vorreiter dieser Fotografie waren sicherlich David Seymour und Robert Capa. Ihre Fotografie dieser extremen Form des Menschseins ermöglichte ein visuelles Nacherleben des Krieges und versetzte die Betrachter in die Lage, sich mit dem Krieg, und der Welt, in der er stattfand, bildlich auseinanderzusetzen.
Street Photography Ästhetik
Was außerdem in die Streetfotografie einzog, war eine spürbare Ästhetik. Die unwiederholbaren Mikro-Momente wurden prägnanter und experimentierfreudiger ins Bild gebannt. Mit den deutlich künstlerischen Ergebnissen, die diese Epoche hervorbrachte, verbindet man sicher Namen wie Garry Winogrand, Joel Meyerowitz, Harry Gruyaert und Martin Parr. Und wer unbedingt genannt sein will, schon alleine wegen seines höchst eigenwilligen Stils, ist Bruce Gilden. In all ihr Schaffen fällt auch das neue Metier der Farbfotografie hinein. Viele spannende und einflussreiche Fotografen und Fotografinnen folgten, die alle zu nennen den Rahmen sprengen würde.
Die moderne digitale Street Photography
Ein wirklich bedeutender Zeitraum für die Streetfotografie ist der Übergang aus der ausschließlich analogen Fotografie hinein in die digitale Fotografie. Mittels der immer kleiner und günstiger werdenden Kameras, dem Wegfall aufwendiger Fotoentwicklung, und dem rasanten Anstieg Foto-tauglicher Mobiltelefone wurde das Genre Streetfotografie unglaublich variabel. Es wurde einer riesigen Zahl von Personen viel leichter zugänglich.
Doch nicht nur die Technik veränderte sich, sondern auch die Fotografie an sich. Massenhafte Fotos konnten nun in Kürze belichtet und archiviert werden, und mit alledem nahm die Geschwindigkeit der Fotografie erheblich zu. Der Weg von einer einst ruhigeren, konzentrierteren Vorgehensweise verschob sich in eine eher schnellere, und teils oberflächlichere Fotografie.
Begünstigt wurde die heutige digitale Street Photography zusätzlich durch das Aufkommen von Präsentationsmöglichkeiten im Internet. Eigene Webseiten, Blogs, die sozialen Medien mit Instagram, Facebook & Co. beeinflussten die Streetfotografie erheblich. Plötzlich war nahezu jeder in der Lage, seine Street-Fotos der gesamten Welt zur Verfügung zu stellen und Teil zu sein von regionalen und überregionalen Gemeinschaften.
Buch Empfehlung von Peter Roskothen: Dieses englischsprachige Buch ist wohl kaum zu übertreffen, wenn es um die Antwort auf die Frage geht, „Was ist Street Photography“. Verschiedene internationale Künstler, vor allem auch der von mir geschätzte Alan Schaller, zeigen ihre Fotografien und erläutern die Aspekte des faszinierenden Fotogenres. Kameras, Objektive und Belichtungsdaten sind überdies ebenfalls zu finden. Detail am Rande: Das Coverfoto ist mit einem Smartphone belichtet.
Renaissance der Analogfotografie
Die heutige Renaissance der Analogfotografie, unter Hinzunahme entsprechender Kameras, wie auch die Kombination von Digitalkameras und analogen, manuellen Objektiven, lässt den Schluss zu, dass die Foto-Szene sich wieder nach mehr Qualität statt Quantität sehnt. Viele Street-Fotografinnen und -Fotografen nutzen wieder die „behutsamere Technik“.
Motive der Streetfotografie
Wenn wir fragen, was ist Street Photography, dann reden wir auch über die Motive. Menschsein im urbanen Lebensraum, das ist der grobe Umriss von Motiven der Streetfotografie. Möglichst ungestellt sollen die Aufnahmen sein, und einzigartige Momente gilt es aus der Summe aller Geschehnisse herauszufiltrieren.
Gerne wird darüber diskutiert, ob überhaupt, und in welcher Eindeutigkeit, Personen Teil des Motivs darstellen sollen und dürfen. Deutschland und die DSGVO bildet dafür sicherlich einen speziellen Rahmen, doch blicken wir davon unabhängig auf die Streetfotografie, zeigen sich erst deren immense Optionen. Das Wimmelbild in den Passagen der Städte gehört dazu, so wie ein Street-Portrait. Der Hund an der Leine, ohne dass sein Herrchen oder Frauchen zu erkennen sind, und auch die eher abstrakten, von Ironie und Humor geprägten Fotos, wie sie zum Beispiel Siegfried Hansen macht, sind Street Photography pur.
DSGVO und Streetfotografie als Kunstform
Über dem Für und Wider, ob Street Photography nun Kunst sei, liegt seit Langem ein Schatten von Ungewissheit, der sich seit Bestehen der DSGVO eher verstärkt statt gelichtet hat. Immer wieder wird darüber diskutiert, ob die Kunst die Oberhand bekommt, oder die Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Personen. Seit 2018 herrscht insofern Klarheit, als das Bundesverfassungsgericht die Street Photography als Kunstform, und die entsprechenden Fotografien als Kunstwerke anerkannt hat. Dennoch fallen Gerichtsurteile im Zusammenhang mit abgelichteten Menschen mal zugunsten, und mal zulasten der Fotografen aus. Tendenziell finden sich online immer wieder Beschreibungen, wo eher zugunsten der Kunstfreiheit entschieden wurde, wenn Fotos mit erkennbaren Menschen z.B. in künstlerischem Zusammenhang (Ausstellung; Bildband …) erschienen. Eine verbindliche Aussage steht allerdings auch dort nicht dahinter.
Abgesehen davon, dass sich ein Streetfotograf im Streitfall auf seine durch Art. 12 GG geschützte Kunstfreiheit berufen darf, ist diese durch die Konzeption des Grundgesetzes nicht uneingeschränkt beanspruchbar, denn es muss im Einklang mit allen anderen geltenden Rechten stehen. Gerade im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht sowie das Recht am eigenen Bild, hat das Bundesverfassungsgericht diesbzgl. etwas entwickelt, das eine Art Sphären-Theorie darstellt. Darin finden sich bestimmte Indikatoren, die im Zweifelsfall eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und den Persönlichkeitsrechten ermöglicht.
Als Sphären werden u.a. Sozialsphäre, Privatsphäre und Intimsphäre genannt. Grob gesagt lässt das eine Beurteilung zu, die für den Fotografen positiver ausfällt, je mehr die Fotografie öffentlich und in der Sozialsphäre angesiedelt ist, und hin zur Privat- und Intimsphäre eher zulasten des Fotografen ausgelegt ist. Wo da genau die Grenzlinien zu ziehen sind, und in welche Richtung das Urteil ausfällt, obliegt der richterlichen Würdigung des Anlasses. In letzter Konsequenz liegt es also an uns, Fotografen und Fotografinnen, die uns gegebenen Möglichkeiten und Mittel intelligent einzusetzen, und mit einer positiven, wohlmeinenden Street Photography den Wert dieser Kunstform zu würdigen.
Stellenwert in der Gesellschaft
Für die Frage „Was ist Street Photography?“, schauen wir auch auf die Rezeption dieses Fotothemas. Street Photography wird von der Gesellschaft sehr unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert. Vermutlich wird es so sein, dass die Akzeptanz des/der Einzelnen steigt, wenn es persönliche Berührungspunkte und positive Erlebnisse zur Streetfotografie gibt. Die Technik spielt allerdings auch eine Rolle. Denn schauen wir uns an, wie die Resonanz den vielen Personen mit Smartphone gegenüber ausfällt, und den wenigen Fotografen gegenüber, die mit einer „echten“ Kamera unterwegs sind, werden Unterschiede deutlich. Und das, obwohl beide Gruppen dasselbe tun.
Leider müssen wir auch feststellen, dass der Kenntnisstand bzgl. Persönlichkeitsrechten nicht sehr ausgewogen ist. Viele Menschen sind überzeugt, dass die Personenfotografie im öffentlichen Raum alleine schon strafbar und zu untersagen wäre. Der reflexartige Alarm, auch ohne konkrete Verfehlungen, liegt innerhalb der Gesellschaft hoch. Streetfotografen sind potenzielle Stalker und Paparazzi, so ein landläufiges Vorurteil.
Auch hier hat es wenig Sinn, es auf Konfrontationen ankommen zu lassen. Wir Fotografen und Fotografinnen haben es in der Hand, die Wirkung unserer Fotografie in der Öffentlichkeit ins Positive zu steuern. Jeden Einzelnen, den wir mit einer angenehmen Art, einem Gespräch und der Offenheit bzgl. unseres Tuns davon überzeugen können, etwas Harmloses und Schönes zu tun, wird dabei helfen, den Stellenwert der Street Photography in der Gesellschaft positiv zu beeinflussen.
Zitate von Street Photographen*innen
Um vielleicht etwas anschaulicher dem Geist der Street Photography nachzuspüren, habe ich für Sie einige Zitate gefunden von Fotografen, die sich der Streetfotografie ganz und gar verschrieben hatten/haben.
Robert Doisneau: „Die Wunder des täglichen Lebens sind aufregend. Kein Filmregisseur kann das Unerwartete arrangieren, das Sie auf der Straße finden. “
Elliott Erwitt: „Fotografieren ist für mich eine Kunst der Beobachtung. Es geht darum, etwas Interessantes an einem gewöhnlichen Ort zu finden. Ich habe festgestellt, dass es wenig mit den Dingen zu tun hat, die man sieht, und alles damit, wie man sie sieht.“
Lee Friedlander: „Ich neige dazu, die Dinge zu fotografieren, die mir vor die Kamera kommen.“
Garry Winogrand: „Manchmal habe ich das Gefühl, die Welt ist ein Ort, für den ich ein Ticket gekauft habe. Es ist eine große Show für mich, als ob es nicht passieren würde, wenn ich nicht mit einer Kamera dabei wäre.“
Saul Leiter: „Ich gehe spazieren, ich sehe etwas, ich mache ein Foto. Ich mache Fotos. Ich habe tiefgründige Erklärungen zu dem, was ich tue, vermieden.“
Martin Parr: „Mein oberstes Ziel ist es, das Gewöhnliche außergewöhnlich aussehen zu lassen.“
Henri Cartier-Bresson: „Beim Fotografieren gibt es einen kreativen Bruchteil einer Sekunde. Ihr Auge muss eine Komposition oder einen Ausdruck sehen, den Ihnen das Leben selbst bietet, und Sie müssen intuitiv wissen, wann Sie die Kamera anklicken müssen. Das ist der Moment, in dem der Fotograf kreativ ist. Hoppla! Der Moment! Wenn du es einmal verpasst hast, ist es für immer weg.“
Empfehlenswerte Bücher zur Street Photography
Was ist Street Photography? Manchmal sagen Fotos mehr als 1000 Worte. Will sagen, wir können auch mit Büchern erklären, was die Street Photography ausmacht. Die Liste ist nicht vollständig, aber ein paar Werke, die ich als sehr gelungen erachte, finden Sie hier:
Mit offenen Augen: Eine Wahrnehmungsschule für die Streetfotografie >>
Next Level Streetfotografie: Starke Bilder gestalten und klare Aussagen treffen >>
Streetfotografie – Die Kunst, einzigartige Augenblicke einzufangen >>
Masterclass Straßenfotografie >>
Masters of Street Photography >>
Resümee: Was ist Street Photography?
Am Ende eines Artikels, dessen Titel eine Frage ist, bleibt zu schauen, ob sie beantwortet werden kann. Mit dem Beitrag erhebe ich nicht den Anspruch, der einen und einzigen Betrachtungsweise, und mir als Verfasser fällt eine neutrale Einschätzung dazu schwer, da ich viel zu tief im Thema stecke. Doch mich würde freuen, zumindest mit ein paar Punkten dazu beigetragen zu haben, besser erfassen zu können, was genau Street Photography ist. Sollten dennoch Fragen offen geblieben sein, oder sollten Ihnen noch Dinge einfallen, die zu ergänzen Sinn machen, nutzen Sie bitte die Kommentarfunktion, und lassen Sie uns gerne daran teilhaben.
Mit herzlichen Grüßen von der Straße,
Ihr Dirk Trampedach
Links zu o.g. Artikeln:
Inside the world of Helen Levitt >>
Street Photography – Tutorial Teil 1 >>
© Dirk Trampedach, Journalist für Fotografie bei *fotowissen – Was ist Street Photography?
Dies ist eine Serie von Beiträgen - Street Photography - Lesen Sie die ganze Serie:
- Street Photography Projekt Tutorial Teil 1
- Faszination Street Photography Projekt Teil 2
- Straßenfotografie Frankfurt - Street-Photography Projekt
- Die Wahrheit Street Photography Projekt Teil 3
- Die Planung des Ungestellten - Street Photography Projekt Teil 4
- Interaktion in der Street-Photography – Street Photography Projekt 2022 Teil 5
- Straßenfotografie Tipps Best Of – Street Photography Projekt Teil 6
- Einstellungen Street Photography Projekt Teil 7
- Das Finale Street Photography Projekt Teil 8
- Bildband Street Photography Projekt 2022 Bonus-Teil 8.1
- Methode Jäger und Fischer Street Fotografie
- Streetfotografie bei Nacht und Nebel
- Gefahren der Street-Photography - Vogelfrei mit Kamera
- Meet&Street Nuernberg 2023 - Deutsche Streetfotografie Szene
- Street Photography 35mm Brennweite
- Street Photography Farbe oder Monochrom
- Street Photography – zeitlose Fotos machen
- Was ist Street Photography?
- Street Photography - Unentdeckt fotografieren
- Straßenfotografie für Anfänger Tipps, Tricks und Ausrüstungsempfehlungen
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Hallo Herr Trampedach,
ausführlich zusammengefasst – danke.
Mit dem fotografieren fremder Menschen halte ich es übrigens so:
Ich frage mich immer, ob es für mich akzeptabel wäre, wenn mich ein fremder Mensch so fotografieren würde.
Ich würde es absolut gar nicht akzeptieren, wenn ich den Eindruck hätte „Opfer“ einer Jagd zu sein. Sprich es kommt ein Fotograf und springt mir in Garry Winogrand Manier quasi vor die Füße und hält mir seine Kamera ins Gesicht – geht gar nicht, völlig inakzeptabel.
Und deshalb würde ich das auch nicht tun.
Oder auch, wie ich das vor kurzem in einem Video gesehen habe, schleichen sich Fotografen an ein Fenster eines Cafes ran und lichten dann aus nächster Nähe formatfüllend einen Gast ab, der hinter dem Fenster seinen Kaffee genießt.
Wäre für mich im Cafe sitzend völlig inakzeptabel – somit auch für mich draußen mit der Kamera inakzeptabel.
Fotografiere ich wiederum Szenen, in denen der oder die fotografierte(n) Mensch(en) „nur“ Bestandteil eines Motivs sind und durch ihre Anwesenheit die Szenerie zum Leben erwecken, sehe ich das eher entspannt.
Um das Beispiel mit dem Cafe aufzugreifen – fotografiere ich großflächig eine Fensterfront und an einer Stelle im Bild ist erkennbar, dass dort jemand sitzt und seinen Kaffee genießt, so belebt er diese Szene – vielleicht wird dieser Mensch sogar aufgrund von Spiegelungen nicht mal im Detail erkannt – das ist okay für mich.
Oder eine Menschentraube rund um einen Straßenmusiker – klar kann man dann evtl. Menschen erkennen, aber sie sind „nur“ Bestandteil einer gesamten Szene, eines gesamten Motivs und nicht als einzelne(r) das exklusive Motiv (hier beziehe ich mich aufs Publikum, nicht auf die Person des Musikers).
Mit meiner Definition wird auch nicht jede oder jeder hundertprozentig einverstanden sein – aber es ist eine Definition, die ich reinen Gewissens nachvollziehbar vertreten kann und welche ich auch bei Rückfragen beschreiben und erläutern könnte. Sollte es wirklich mal zu diesem Gespräch kommen, mag mir die oder der ein oder andere immer noch sagen, dass sie/er nicht einverstanden ist – nun, ich würde genauso freundlich vor ihren Augen löschen (das würde ich ja auch als Fotografierter erwarten, wenn ich nicht einverstanden wäre).
Dazu ist es bei mir noch nicht gekommen – auch wenn ich „ertappt“ wurde konnte ich immer den Eindruck erwecken, dass der einzelne Mensch nicht mein Motiv war. Somit kam es bisher höchstens mal zu unsicheren Blicken.
Hallo Herr Pauli,
ihr ausführlicher Kommentar freut mich total, vielen Dank dafür. Eine genussvolle und erfolgreiche Streetfotografie wünsche ich Ihnen weiterhin, und bleiben Sie uns gewogen!
Freundliche Grüße,
Dirk Trampedach
Hallo Herr Trampedach,
Vielen Dank für Ihre aufschlussreichen Gedanken zum Thema Street Fotografie.
In Deutschland ist es leider wirklich schwierig geworden, diese Kunstform zu betreiben.
Ich halte es ganz ähnlich wie Herr Pauli. Ich spreche Leute vorher an, ob ich sie denn fotografieren darf und bleibe dann in diesem Bereich um von diesem Menschen ein möglichst ungestelltes Bild aufnehmen zu können.
Habe ich tatsächlich Bilder gemacht, zeige ich diese anschließend auf dem Display – ein großer Vorteil der Digital Fotografie und hinterlasse meine Visitenkarte mit der Einladung mich anzuschreiben bei Interesse an einem Bild.
Im Laufe des Gesprächs erwähne ich, dass eines dieser Bilder unter Umständen in einer Foto Ausstellung oder in einem Fotobuch veröffentlicht werden.
Bei einer vor kurzem unternommen Reise nach London musste ich feststellen, wie entspannt die Briten auf dieses Thema blicken. Es gibt hier viel weniger böse Blicke, wenn man mit seiner Kamera durch die Straßen streift.
Was mir auch noch deutlich auffiel, so hat auch die Größe der Kamera keinen großen Einfluss, wie wir Fotografen wahrgenommen werden. Ich stelle immer wieder fest, dass ich mit der kleinen Ricoh GR III weniger Aufmerksamkeit erregen als mit einer DSLR. Aber das wissen wir ja schon.
Vielen Dank, dass Sie Ihr Wissen mit uns teilen und sie in Diskussion mit uns treten.
Ich wünsche Allzeit gute Licht
Josef Schönlinner
Grüße Sie, Herr Schönlinner,
toll, eine so lange und inhaltlich kompakte Rückmeldung zu bekommen, ich freue mich sehr drüber!
Es ist immer wieder spannend zu erfahren, wie die einzelnen Fotgrafinnen und Fotografen das Genre „Street“ für sich interpretieren, angehen und umsetzen. Die Initiativen und die Aufwände, die Sie in den Straßen betreiben, sind beeindruckend. Für mich und meine Auffassung liegen Sie damit in dem Bereich der „Street-Portraits“, zu dem ich bislang kaum Zugang gefunden habe. Für den Großteil meiner Fotos zu fragen, kann ich mir gar nicht (mehr) vorstellen. Mache ich wirklich nur, wenn es ganz klar um ein Portrait gehen soll. Alles andere mache ich so positiv als möglich, und durchaus auch schonmal frei raus im „kreativen Ungehorsam“.
Das mit dem anderen Umgang im Ausland ist mir auch schon öfter aufgefallen. Wir regulieren uns halt gerne, fühlen uns am sichersten zwischen Geboten und Verboten, und leben das aus, was über die Kontinente hinweg als „German Angst“ die Runde macht. Mich macht das mittlerweile nur noch traurig, denn vieles an natürlicher Offenheit und intuitivem Miteinander gehen in die Binsen.
Ihnen und ihrer Fotografie wünsche ich jedenfalls alles Gute, und lasen Sie uns gerne teilhaben an dem, was für die Festplatte alleine zu schade ist!
Herzliche Grüße,
Dirk Trampedach