Evelyn Richter, ostdeutsche Fotografin: Anfang Dezember 2022 kam ich während eines Deutschland-Besuchs auf einer Bahnfahrt von Bonn nach Düsseldorf mit einem Herrn ins Gespräch, der mich auf eine Ausstellung zur ostdeutschen Fotografin Evelyn Richter im Düsseldorfer Kunstpalast aufmerksam machte, die er besuchen wollte. „Evelyn Richter – nie gehört“, gestand ich ihm, behielt den Namen aber im Kopf. Eine anschließende kurze Internetrecherche weckte sofort mein Interesse an ihr, hat sie doch in der DDR die sozialdokumentarische und humanistische Fotografie, ein auch von mir sehr geschätztes Genre, wesentlich mitgeprägt. Während aber z.B. Künstler wie Brassai, Sabine Weiss oder Willy Ronis, die Begründer der humanistischen Fotografie in Frankreich, mit ihren Arbeiten auf viel internationale Anerkennung stießen, blieben Evelyn Richter wie auch andere DDR-Fotografen einem breiteren Publikum im Westen weitgehend unbekannt. Dies änderte sich erst mit dem Fall der Mauer 1989; allerdings sei Evelyn Richter auch heute noch eher ein Geheimtipp unter den westdeutschen Sammler*innen, wie es im Begleitband zur Ausstellung im Kunstpalast heißt.
Inhaltsverzeichnis
Evelyn Richter, ostdeutsche Fotografin
Evelyn Richter lebte von 1930 bis 2021. Sie erhielt eine fotografische Ausbildung in Dresden und studierte anschließend Fotografik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB). 1955 verließ sie die Universität ohne Abschluss und betätigte sich als freiberufliche Fotografin zunächst für verschiedene Zeitschriften und die Tagespresse. Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad erhielt Richter Aufträge, z.B. Theater-Inszenierungen für Buchveröffentlichungen zu fotografieren. Hatte sie bis 1957 im Mittelformat gearbeitet, stieg sie danach auf eine Kleinbildkamera um. Dieser Schritt erlaubte ihr, journalistische Reportageaufträge anzunehmen; im Mittelpunkt stand dabei oft der Arbeitsalltag besonders von Frauen und Auszubildenden. Richter wurde auf diese Weise bei vielen Zeitungen und Zeitschriften eine „feste freie“ Mitarbeiterin.
Portraits bekannter und unbekannter Menschen spielen in Evelyn Richters Werk eine große Rolle. Die Düsseldorfer Ausstellung zeigte zahlreiche Aufnahmen, so z.B. des Violinisten David Oistrach und des Komponisten Paul Dessau, aber auch etwa einer Chirurgin der Leipziger Universitätsklinik. Unter den Portraits hinterließ bei mir die Aufnahme von Dolores Ibarurri, der legendären „Pasionaria“ des Spanischen Bürgerkriegs, den stärksten Eindruck. Mir kam es vor, als spiegelten sich in ihrem Gesicht alle Tiefen des 20. Jahrhunderts.
Die Düsseldorfer Veranstaltung, gemeinschaftlich organisiert vom Kunstpalast und dem Museum der bildenden Künste Leipzig, war die erste ausführliche Vorstellung von Richters Werk in Westdeutschland. Die Schau präsentierte alle zentralen Werkgruppen der Künstlerin von den Anfängen ihrer Karriere bis zur Jahrtausendwende, neben Fotos aus der Arbeitswelt und Portraits auch z.B. Aufnahmen von Ausstellungsbesuchenden in Museen und von Menschen im Transit, in Zügen und S-Bahnen. Ferner wurden angewandte Arbeiten Richters gezeigt, wie ihr einschlägiges Buchprojekt zum Thema der frühkindlichen Entwicklung, zu welchem sie andere namhafte ostdeutsche Fotograf*innen von Helga Paris bis Christian Borchert einlud.
Buch Evelyn Richter
Parallel zur Ausstellung erschien das Buch „Evelyn Richter“. Dessen Titelbild, das ein junges Paar während einer Zugfahrt zeigt, erinnert frappierend an eine Aufnahme Cartier-Bressons, die der Franzose 1975 in Rumänien gemacht hat. Die Publikation enthält auf rund 200 Seiten die Fotos der Düsseldorfer Ausstellung sowie ausführliche Informationen zum Leben und Werk Evelyn Richters. Das sehr empfehlenswerte Buch ist bei Amazon zum Preis von 42 Euro erhältlich.
- Conze, Linda (Author)
Alle diejenigen Interessierten, die es nicht zur Ausstellung in den Kunstpalast geschafft haben, können sich voraussichtlich vom 15. November 2023 bis 17. März 2024 im Leipziger Museum der bildenden Künste die Fotos von Evelyn Richter und zweier ihrer Freundinnen anschauen.
Ausstellung in Leipzig, MdbK >>
© Detlef Rehn, Tokio – Evelyn Richter, ostdeutsche Fotografin
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