Warum ein Selbstportrait fotografieren: Selfies oder Selbstbelichtungen sind in der Fotografie sehr verbreitet. Mal nutzen wir Selbstportraits für eine Publikation, mal einfach aus Freude. Doch wie fotografieren wir uns selbst am besten?
Inhaltsverzeichnis
- Herausforderung ein Selbstportrait fotografieren
- Selbstportraits von gestern
- Selbstportraits zu analogen Zeiten
- Selfies heute
- Selbstportraits der Gegenwart
- Was hat diese Story der Selbstportraits mit mir zu tun?
- Warum ein Selbstportrait fotografieren?
- Reicht in der heutigen Zeit nicht ein schnelllebiges Selfie?
- Wo und wie könnte ich mich selbst fotografieren?
- Wer will schon arrangierte Selbstportraits von mir sehen?
- Wie finde ich Themen für meine Selbstportraits?
- Technik Selbstportrait fotografieren
- Fazit
Herausforderung ein Selbstportrait fotografieren
Selbstportraits von gestern
Rein geschichtlich gesehen, ist durch die Antike hindurch bis ins Mittelalter hinein, das künstlerische Selbstportrait kaum bis gar nicht bekannt gewesen. Wirklich nachweisen lässt sich das Selbstbildnis erst etwa ab der Renaissance, als die schaffenden Künstler sich nicht nur als malende Handwerker verstanden, sondern sich Wissenschaftlern und Philosophen gleichzustellen versuchten. Dies geschah u.a. damit, sich mittels Selbstportrait ein Denkmal zu setzen. Um ein wenig Tiefe zum Thema zu vermitteln, hier ein kleiner Auszug berühmter Künstler, und einige Gründe für ihre Selbstportraits.
Rembrandt verstand das Selbstbildnis als philosophische Suche, Gedanken zu Schönheit + Verfall des Körpers bildlich zu erarbeiten und auszudrücken. Van Goghs Herangehensweise war eng verwoben mit der Frage: „Wer bin ich?“. Bei Picasso ging es eher darum, im Selbstportrait ein unbekanntes Ideal zu verwirklichen. Und im Sprung in die Moderne könnte man u.a. den Chinesen Ai-Weiwei nennen. Von ihm stammt das bislang früheste Smartphone-Selfie als genutzte Kunstform in der Fotografie.
Selbstportraits zu analogen Zeiten
Ich weiß ja nicht, wie es ihnen so ergangen ist durch Jahre, Jahrzehnte, wenn es darum ging, ein Foto von sich selbst zu machen. War das positiv belegt? Meine Erfahrung mit dem Thema ist die, dass Selbstportraits meistens belächelt wurden, und man sich selbst undefiniert komisch dabei vorkam. Über lange Zeit kenne ich es so, dass sich selbst abzulichten nur legitimiert war, wenn z.B. Familienfotos bei Ausflügen oder ähnlichen Anlässen geschossen wurden, und keine neutrale Person diesen Part übernehmen konnte. Da entstanden dann diese Selfies von teils lustigen Sprints, schräger Mimik, und wenig vorteilhaft wirkenden Protagonisten, die innerhalb der surrenden oder blinkenden 10 Sekunden im Arrangement erscheinen mussten. Es sind eben diese Klassiker, die wahrscheinlich in jedem Familienalbum kleben.
Selfies heute
Etwa 93 Millionen Selfies werden mittels Mobiltelefonen weltweit täglich aufgenommen. Doch inwieweit unterscheidet sich ein klassisches Selbstportrait davon? Den Zweck eines Selbstportraits bestimmt der Künstler selbst. „Es ist eine Frage der Bequemlichkeit. Ich bin immer erreichbar.“ (Zitat: Francesca Woodman). Klar ist, alleine für uns, bestimmen wir selbst, ob wir Zeit haben, wie viel davon, und wann der Termin mit uns selbst vorbei ist. Beim Selbstportrait geht es vor allem immer auch um das Selbstbewusstsein. Das Selbstbildnis kann herausgearbeitet werden, es kann uns formen, und wir schulen eine Art Selbstakzeptanz. Wer das Wagnis kennt, seinen eigenen Gesang aufzunehmen und sich selbst zum ersten mal selbst zu hören, hat eine Ahnung dazu, was mit Selbstakzeptanz gemeint sein kann.
Selbstportraits der Gegenwart
Wer nun denkt, klar, Selfie halt, ist auf dem Holzweg. Denn das, was ich unter Selbstportrait verstehe, ist nicht das, was man landläufig mit Selfie meint. Mir geht es vielmehr um ein gestelltes, teils aufwendig arrangiertes Foto, bei dem nicht sofort und eindeutig klar ist, dass es der Fotograf sich selbst arrangiert und belichtet hat. Es geht mir exakt um die Situation, nur sich selbst zu fotografieren.
Was in der Fotografie an sehr eigenwilligen Ergebnissen entstehen kann, und aus welcher Motivation heraus sie entstehen, möchte ich an ein paar Beispielen für selbstportraitierende Fotografen*innen aufzeigen. Einmal wäre da Mariell Amelie Lind Hansen. Surreal, irgendwo zwischen der Natur und sich selbst, arbeitet sie sich im Portrait ausdrucksstark heraus. Von sich selbst sagt sie, sich dadurch eine Welt aufgebaut zu haben, in der sie genau die sein konnte, die sie sein wollte. Mariell Amelie beschreibt, für viele Stunden Zeit und Ort vergessen zu haben, ohne zu bemerken, dass die Welt vorbeizog, während sie fotografierte. Ihre Selbstportraits bezeichnet sie als ihr Unterbewusstes.
Foto oben: Webseite Selbstportraits Mariell Amelie Lind Hansen
Und dann ist da noch Patricia Lay-Dorsey. Neben der völlig abgefahrenen Masche, trotz (oder wegen?) ihres gesetzteren Alters seit zig Jahren Techno-Festivals zu fotografieren, sind ihre Selbstportraits unverwechselbar, spitze, initialisierend. Im Wissen um ihre fortschreitende Multiple Sklerose wurden ihre Selbstportraits ein bewusster Akt, jeden Moment ihres Lebens als einen bemerkenswerten zu verstehen. Sie hat diese permanente, nicht änderbare Lage in innere Aufregung versetzt, die sie teilweise schon aufwachen ließ, mit der Frage, wie sie sich denn heute porträtieren werde.
- Designed by Victoria Forrest, the hardback publication includes 50 colour images, an artist statement and biography, and texts by David Alan Harvey, Magnum photographer and Burn Magazine Editor, and David Drake, Director of Ffotogallery.
Für uns Fotografierende resultieren aus alledem sicherlich Fragen, die sich in Summe ähneln werden. Und ich vermute, es sind derer mehr als Antworten. Vielleicht helfen Ihnen ja dazu ein paar Fragen samt den Antworten, die mir dazu einfallen.
Was hat diese Story der Selbstportraits mit mir zu tun?
Es ist der ewige Blick in den Spiegel. Das, was wir dort sehen, analysieren wir auch gerne. Fragend schauen wir uns selbst an. Je nach Tagesform und Befindlichkeit fällt es anders aus, was wir im Spiegel sehen. Genau das festzuhalten, oder etwas Emotionales, was wir zurück haben möchten, rekonstruierend fotografiert, könnte ein Grund sein. Und jedes Selbstportrait zeigt uns gegenüber einem Spiegelbild ungespiegelt! Dieses ungespiegelte “Ich” ist eben ein pures Abbild, in dem man sich selbst ergründen darf.
Warum ein Selbstportrait fotografieren?
Wieso sollte ausgerechnet ich mich selbst fotografieren?
Gegenfrage: Warum nicht, bitte? Alle Gründe, die wir haben, um Menschen zu fotografieren, gelten grundsätzlich für uns auch. Gründe, Menschen zu fotografieren, schließen uns selbst daher auch eher ein als aus.
Reicht in der heutigen Zeit nicht ein schnelllebiges Selfie?
Ein Selfie hat seine Berechtigung. Mit dem Thema Selbstportrait fotografieren hat es meiner Überzeugung nach allerdings wenig gemeinsam. Nehmen wir das Selfie, aufgenommen im Biergarten, die Pizza samt Weizenbier am Tisch, und wir, die Sonnenbrille auf, lächeln in die digitale Welt hinaus. Runtergebrochen auf das Wesentliche, wird die Kernaussage dieses Bildes sein: „Mir geht es gerade sehr gut“. Aber ist es das, was man mit einem arrangierten Selbstportrait auch sagen möchte? Dem, der mit sich und über sich mehr sagen möchte, wird ein Selfie demnach nicht genügen.
Wo und wie könnte ich mich selbst fotografieren?
Wo und wie würden wir andere Menschen fotografieren? Es gilt, an entsprechendem Ort in entsprechender Stimmung zu sein, und vielleicht ein Konzept, eine Idee, oder zumindest eine vage Vorstellung dessen haben, wie man sich selbst sieht oder gesehen werden möchte. Mein Vorschlag wäre, mit wenig Aufwand und hoher Experimentierfreude einfach mal anzufangen, und zu schauen, was herauskommt, und wie es wirkt.
Wer will schon arrangierte Selbstportraits von mir sehen?
Es bleibt zu hoffen, dass wir es selbst sind. Somit wäre der erste Betrachter immer erst einmal jeder selbst, der ein Portrait von sich belichtet. Also so, wie bei anderen Fotografien auch. In erster Linie sollten uns selbst die Fotos gefallen und entsprechen. Gerade beim Selbstportrait gewinnt der Faktor der Selbstakzeptanz doppelte Wertigkeit. Es sollte uns das Motiv, wie auch die Bildgestaltung und Umsetzung gefallen. Die Sache, sich selbst zu portraitieren, und die Fotografie anschließend für sich als „sehenswert“ einzustufen, ist ein erster, gewaltiger Schritt. Die Unterscheidung, einmal vom Foto als Foto, und dann von sich selbst zu sprechen, ist ein erheblicher Aspekt der Betrachtung von Selbstportraits.
Wie finde ich Themen für meine Selbstportraits?
Das große Thema mit serieller Arbeit ist vielleicht erst der 2. Schritt. Der Bogen der Ideen für gelungene Einzelaufnahmen ist sicherlich weit genug. Sich von armlanger Distanz eines Selfies zu lösen, könnte ein erster Schritt sein. Vieles ist denkbar, folgen Sie ihrem Bauchgefühl dazu! Dort, wo man gerne mal Dritte portraitieren würde, könnte man es auch für ein Selbstportrait versuchen. Das geht vom eigenen Wohnumfeld über Wald, Wiese, Stadt, bis hin zur morbiden Düsternis eines alten Parkhauses. Oder einfach dort, wo es Ihnen in den Sinn kommt!
Technik Selbstportrait fotografieren
Zur technischen Umsetzung ist vieles denkbar. Was mir als Starterpaket als völlig ausreichend erscheint, ist ein zuverlässiger Fernauslöser. Der macht uns frei von den 10 Sekunden der kamerainternen Auslöseverzögerung. Für bestimmte Distanzen zwischen Kamera und Protagonist*in reichen die oftmals kaum, um die Distanz zu bewältigen, und auch noch eine entsprechende Position einzunehmen.
Fazit
Mein ganz persönliches Fazit fällt eher verhalten aus. Es ist ganz klar ein Balanceakt, sich selbst zu fotografieren, und irgendeinen guten Grund zu finden, die Ergebnisse zu veröffentlichen. Beim inflationären Selfie in social media denkt da kaum noch jemand drüber nach, und es ist auch nahezu niemand willens und in der Lage, konstruktive Kritik zu üben. Die meisten Selfies sind es schlicht nicht wert. Nun stellen Sie sich dem entgegen vor, eine aufwändige Serie von Selbstportraits zu machen, die dann in einer öffentlich zugänglichen Location zur Ausstellung kommen sollen. Ganz schwierig wird das werden, vor allem die Auseinandersetzung darüber. Was ich gelegentlich mache, sind Selbstportraits in Situationen, in denen es mir darum geht, etwas zu schaffen, dem ich immer wieder die entsprechende Emotion entlocken kann.
Und vergessen Sie auf keinen Fall die Freude und den Spass dabei, denn das gehört in jedem Fall dazu. Selbstportraits anschauen, braucht immer auch eine gute Portion Humor, über sich selbst lachen zu können. Zeigen Sie ihre Selbstportraits Menschen, die lässig und humorvoll sind, und wo einfach die Chemie stimmt. Verheimlichen Sie sich zu Beginn als Fotograf*in, und lassen Sie sich doch was zum Selbstportrait sagen. Das es eins ist, dürfen Sie dann später auflösen. Es ist eine spannende Sache, wenn man sowas denn mag.
Lieben Dank für ihre Einschätzungen, und einen guten Start ins Selbstportrait wünsche ich Ihnen!
Ganz liebe Grüße, Dirk Trampedach
© Dirk Trampedach, Journalist für Fotografie bei *fotowissen – Warum ein Selbstportrait fotografieren?
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Hallo Dirk
Danke für den interessanten Artikel über ein Thema das mir so nicht in den Sinn gekommen wäre. In jedem Falle hat mich das lesen und nachdenken darüber dazu motiviert einmal einen Selbstportrait- Versuch zu starten.
Danke für die Idee und den entsprechenden Gedanken dazu!
LG Micha
Hallo Micha,
es freut mich, dass der Artikel motiviert und etwas auslöst,
und zu den eigenen Selbstportraits wünsche ich bestes Gelingen!
Danke vielmals für die Resonanz,
Dirk Trampedach
hallo dirk, (ich hoffe, „du“ isi ok)
dein artikel regt mich an, das thema in einem zweiten versuch anzugehen, obwohl das ergebnis des ersten bei mir ein „danke, nix fuer mich“ ausgeloest hat. werde es morgen mal in freier natur versuchen.
dank an dich und grüße
johannes