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Zwischen den Fronten – Wer war die Fotografin Lee Miller?

Copyright LeeMillerArchives Lee Miller dehusking corn East Sussex England c1960
Copyright LeeMillerArchives Lee Miller dehusking corn East Sussex England c1960

Muse, Model, Surrealistin, Modefotografin, Gourmetköchin – in ihrem bewegten Leben war Lee Miller vieles. Die zahlreichen Titelbilder und Kunstwerke mit ihrem Abbild zeigen, dass sie zu ihrer Zeit selbst gesehen wurde, aber ihre eigenen Werke beweisen auch, dass sie nicht davor zurückschreckte hinzusehen. Denn sie war auch eine der ersten Frauen, die die Leiden des 2. Weltkrieges dokumentarisch festhielten. Um ihre fotografische Arbeit zu verstehen, braucht es aber einen Einblick in ihr sehr lebhaftes Leben:

Zwischen den Fronten – Wer war die Fotografin Lee Miller?

Geboren im Jahr 1907 in Poughkeepsie, New York, U.S.A., brachte sie – wie so oft – der eigene Vater zur Fotografie. Mit einer Kodak Brownie Boxkamera lehrte Theodore Miller seinen Kindern vom Einfangen des Lichts und dem Festhalten von Augenblicken, was vor allem für die kleine Elizabeth Miller zu einer lebenslangen Faszination führte.

Copyright LeeMillerArchives Fire Masks London England 1941
Copyright LeeMillerArchives Fire Masks London England 1941

Foto: Die deutschen Bombenangriffe führten häufig zu Stromausfällen im Vogue-Studio, sodass Lee Miller oft Außenaufnahmen für ihre Modefotos machte. Dieser Ort ist der Eingang zum Luftschutzbunker im Garten von Roland Penroses Haus in Hampstead. Die Masken wurden von Luftschutzwächtern (Penrose war einer von ihnen) ausgegeben, um sie vor Brandbomben zu schützen. Lee Miller griff bei ihrer Arbeit für Vogue oft auf ihre surrealistische Vergangenheit zurück und verlieh ihren Modefotostrecken gelegentlich eine allgegenwärtige künstlerische Note. Manchmal ging sie jedoch etwas zu weit für die kommerzielle Modewelt… “Fire Masks” ist eines von Lees ersten Kriegsfotos und wurde als vielleicht zu makaber für eine Veröffentlichung angesehen. Die Modelle, die Masken demonstrieren, die gegen Brandbomben schützen sollen, posieren neben dem Luftschutzbunker in der Downshire Hill 21. Eine der Modelle hält lässig eine Luftschutzpfeife in der Hand. Ein Bunker, eine Maske und eine Pfeife – das war der gesamte zivile Schutz während des Blitzes. Der Fotohistoriker Mark Haworth-Booth sagt über dieses Bild: “Kein anderer Fotograf des sogenannten ‘Phoney War’ und des Blitzes scheint ein Bild wie dieses Porträt der doppelten Deformierung des Krieges geschaffen zu haben.” Veröffentlicht in der US-Vogue, am 15. Juli 1941, auf Seite 60. Bildunterschrift: Maske und Augenschutz, getragen von britischen Frauen als Schutz vor Brandbomben. Eine von ihnen hält eine Luftschutzpfeife.

In ihrer Jugend musste sie durch eine Vergewaltigung hervorgerufene Gonorrhoe-Erkrankung viele schmerzhafte Behandlungen über sich ergehen lassen, ehe sie in Paris einen Neustart wagte. Sie kam zur L’Ecole Madgyes pour la Technique du Theatre, wo sie für 7 Monate Licht und Bühnenbau studierte, nebenbei nach eigenen Angaben alle Künstler Paris kennenlernte und ihren Namen in Lee Miller änderte. Doch nach einem Jahr in Europa holt sie ihr Vater zurück in die Staaten, wo sie zunächst an der Arts Students League weiterstudierte.

Vom Zufall überrollt

Im Jahre 1927 brachte eine schicksalhafte Begegnung Lee Miller wortwörtlich in die Arme Condé Nast‘s, dem damaligen Verleger der Modezeitschrift „Vogue“, als er sie vor einem heranfahrenden Auto rettete. Nicht lange nach ihrem zufälligen Zusammentreffen ziert die junge Frau bereits das Titelbild der März Ausgabe der „Vogue“, illustriert von George LePape.

Viele weitere Modeshootings folgen, unter anderem wird sie von Größen wie Arnold Genthe und Nickolas Muray abgelichtet, doch die schöne Lee Miller will selbst lieber hinter der Kamera stehen.

Also reist sie 1928 zurück nach Paris und geht nach einem Empfehlungsschreiben von Fotograf Edward Steichen beim surrealistischen Künstler und Fotografen Man Ray in die Lehre. Aus der Zusammenarbeit wird schnell auch eine Liebesbeziehung und die beiden kreieren viele der heute berühmtesten Werke Rays. Gemeinsam mit Lee Miller perfektionierte Man Ray die Solarisationstechnik, bei dem ein Fotofilm durch starke Überbelichtung so verfremdet wird, dass es zu einem Umkehreffekt kommt und dunkle Partien heller werden und helle Partien dunkler.

Lee Miller arbeitet über die folgenden Jahre auch an eigenen Projekten in anderen Teilen Europas, porträtierte viele wichtige Namen ihrer Zeit wie Paul Éluard, Pablo Picasso, Max Ernst oder Joan Miró, doch als Miller und Ray sich trennen, kehrt sie 1932 zurück in die USA.

Gemeinsam mit ihrem Bruder Erik eröffnet sie ihr eigenes Fotostudio und übernimmt nun bald auch wieder Aufträge für die „Vogue“. 1934 heiratet sie den Ägypter Aziz Eloui Bey und zieht mit ihm nach Kairo, wo sie viele kleinere Dörfer, Ruinen und die Wüste fotografiert. Für ein Foto steigt sie sogar auf die Cheopspyramide. Doch das Leben in Afrika wird vom herannahenden 2. Weltkrieg überschattet.

Zwischen die Fronten geraten

Auf einer Alleinreise 1937 nach Frankreich lernt Lee Miller dann den surrealistischen Künstler und Kurator Roland Penrose kennen, verliebt sich in ihn und lernt auf gemeinsamen Reisen durch Europa auch Pablo Picasso kennen, der sie sechsmal auf Bildern verewigte.

Als dann 1939 der Krieg ausbricht, scheidet sie sich von ihrem ägyptischen Ehemann und zieht nach London, um bei Penrose zu sein.

1940 wird Lee Miller von der „Vogue“ als Modefotografin eingestellt, bevor sie 1942 als Kriegsberichterstatterin akkreditiert wurde. Ihre Bilder vom London Blitz, der Invasion der Alliierten sowie die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau zählen zu den wichtigsten Bilddokumenten des 2. Weltkrieges. Gemeinsam mit dem Fotografen David E. Scherman dokumentierten sie viele der europäischen Kriegseinsätze. Noch bis zur Schlacht in St. Malo durfte Lee Miller als Frau jedoch keine aktiven Kampfeinsätze dokumentieren, da sie die US War Correspondents card nicht besaß und Frauen nur von friedlichen Orten Bericht erstatten sollten. Doch als sie in St. Malo eintraf, war die Schlacht noch im vollen Gange und als einzige Reporterin vor Ort dokumentierte sie das Geschehen, wurde daraufhin aber unter Hausarrest gestellt.

Nachdem sie ihre Strafe abgesessen hatte, traf sie wieder auf die Division 83, die sie zuletzt in St. Malo dokumentierte und konnte die Befreiung Paris’ gemeinsam mit ihrem alten Freund Picasso miterleben. Nachdem sie die Befreiung des Konzentrationslagers in Dachau festhielt und Zeuge des dortigen Leides wurde, porträtierte sie Scherman in Hitlers Badewanne in München, wo sie seine Privatsphäre mit dem Dreck, ihrer Wut und ihrem Ekel über den Krieg zu beschmutzen scheint.

Nach dem Kriegsende reist sie noch weiter durch Europa, um die Nachwirkungen des Krieges festzuhalten, kehrt jedoch 1946 nach London zurück, um Roland Penrose zu heiraten. Gemeinsam ziehen sie mit ihrem Sohn Antony in das Farley Farm House in Chiddingly, welches über die Jahre zum Mekka für Künstler wird.

Unter PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) leidend entfernt sich Lee Miller schlussendlich von der Fotografie und widmet sich mehr der surreellen Kochkunst.

1977 verstirbt Lee Miller nach einer Krebserkrankung. Ihr Sohn Antony entdeckt auf dem Dachboden der Familienfarm über 60.000 Negative, 20.000 Abzüge und Kontaktbögen, Dokumente und Schriftstücke aus dem bewegten Leben seiner Mutter, die er mit seiner Frau nach und nach in Form von Ausstellungen, Büchern und anderen Publikationen veröffentlicht.

Seit dem 19. September läuft in den deutschen Kinos der Film “Die Fotografin” mit Kate Winslet als Lee Miller in der Hauptrolle, der über ihre Person erzählt. Wir werden in einer Rezension des Films ihre Persönlichkeit noch mal aufnehmen und bewerten, ob das Porträt dieser wichtigen und besonderen Frau gelungen ist.
Des Weiteren kann man Lee Millers zahlreiche Fotografien im Farleys House & Gallery bestaunen oder sie sogar über die Picture Gallery des Lee Miller Archives erwerben.

© Karoline Hill – Zwischen den Fronten – Wer war die Fotografin Lee Miller?

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Karoline Hill

Als Freiberuflerin bewege ich mich in allen Himmelsrichtungen, manchmal sogar nur vom Wind getragen, stets auf der Suche nach dem Authentischen, dem Unerforschten, dem Besonderen.
Wenn ich nicht auf Reisen bin, lebe ich in Dänemark mit kurzen Abstechern nach Norddeutschland oder in die Hauptstadt - wo ich geboren und aufgewachsen bin.
Ich schreibe über Themen, die mich selbst berühren, meine Leidenschaften, aber auch über all die bunten, immer zu kurzen Momente des Lebens und wie man diese am besten festhalten kann. In meiner Fotografie arbeite ich grundsätzlich mit einem dokumentarischen, erzählerischen Stil, oft nur mit natürlichen Licht, um so nah an der Realität zu bleiben, wie möglich.

5 Kommentare

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  • Mein Lob für dieses differenzierte Portrait des Menschen Lee Miller. Danke für Deine Mühe, die sich ausgezahlt hat. Ich freue mich auf Deine Rezension des Films, Karoline.

    Herzlich Peter

  • Liebe Frau Hill,

    gestern waren wir im Kino und haben uns den Film “Die Fotografin” angesehen! Danke, denn Ihr Artikel hat noch wertvolle Hintergundinformationen über diese großartige Frau geliefert, die ein Film naturgemäß nicht in diesem Umfang liefern kann!
    Der Film vermittelt sehr eindrucksvoll die Persönlichkeit von Lee Miller, die Kate Winslet einmalig darstellt. Die Kameraführung trägt dazu bei, die Emotionen, die Atmosphäre zu übertragen. Lange Szenen nur mit Nahportrait von Lee Miller und David Schermain, das Entsetzen beider als sie in Dachau ankommen, für die Zuschauer greifbar. Selbst das unvermeidliche Popcorn- Geraschel verstummte da! Und es rannte auch keiner nach dem letzten Bild zum Ausgang. Wir alle blieben bis zum Ende des Abspanns sitzen! Der Film lohnt auf jeden Fall einen Kinobesuch! Vielleicht auch für alle AfD- Wähler, zwecks politischer Bildung!
    Danke noch einmal für Ihren Artikel!
    Herzliche Grüße
    F.Seeber

  • Vielen Dank für den hervorragenden Artikel über das Leben von Lee Miller und die Besprechung des ausgezeichneten Films „Die Fotografin“ . Ich habe den Film sehr genossen und war wieder einmal begeistert von der großartigen Kate Winslet.
    Die ausführliche und gut zu lesende Kurzbiografie von Lee Miller lässt sicherlich jeden den Film über das „zweite Leben“ dieser außergewöhnlichen Frau noch einmal mit anderen Augen sehen. Beide Artikel machen Lust auf mehr und weitere Beschäftigung mit dieser Künstlerin.

  • Der technische Aspekt der Solarisationstechnik ist für diejenigen, die das vielleicht mal probieren möchten, etwas unklar ausgedrückt. Es ist nicht schwierig, macht Spaß und die Ergebnisse sind interessant, deshalb möchte ich dieses analoge Verfahren in Ergänzung zum Text von Frau Hill hier gerne erläutern. Zuerst etwas Theorie bzw. historischen Hintergrund, dann kommen wir zum vergnüglicheren praktischen Teil.

    Solarisation ist weniger eine starke Überbelichtung an sich, sondern der Umkehreffekt entsteht vielmehr durch die zusätzliche Belichtung eines Films oder eines Fotopapiers während der Entwicklung, d.h. wenn Film oder Papier noch nicht ganz fertig entwickelt sind. Fällt während des Entwicklungsprozesses, jedenfalls vor der Fixierung, Licht auf Film oder Papier erscheint ein Teil des Bildes positiv, ein Teil negativ.

    Lee Miller selbst beschrieb das Vorkommnis von 1928 so:

    „Irgendwas krabbelte mir in der Dunkelkammer über den Fuß, und ich stieß einen Schrei aus und knipste das Licht an. Ich habe nie herausbekommen, was es war, eine Maus oder sonst etwas. Dann wurde mir schnell klar, daß der Film vollständig belichtet war: in den Entwicklerschalen lagen, fertig zum Herausnehmen, ein Dutzend praktisch zu Ende entwickelter Negative eines Akts vor dunklem Hintergrund. Man Ray ergriff sie hastig. Legte sie ins Fixierbad und sah sie sich an; die unbelichteten Teile des Negativs, die den schwarzen Hintergrund gebildet hatten, waren durch das gleißende Licht, das ich angeknipst hatte, belichtet worden, und bis eben an den Umriß des weißen nackten Körpers hell geworden… Diese ganze zufällige Entdeckung war mein Werk, aber dann mußte Man Ray herausbekommen, wie er sie unter Kontrolle bringen könnte, damit die Resultate genauso wären, wie er sie jedes Mal wollte.“ (Zitiert nach: Arturo Schwarz, ‚Man Ray’, Rogner und Bernhard 1980, S.300)

    Man Ray dann 1934 über das Verfahren, nachdem er die Sache genauer untersucht und perfektioniert hatte (der Vollständigkeit halber zitiert, es geht auch einfacher, s.u.):

    „Man macht auf weichem Bromidpapier einen Abzug vom normalen Negativ und fotografiert ihn noch einmal ab, wozu man kontraststarken Film verwendet, der dann in der Dunkelkammer normal entwickelt wird (Wrattenlicht Nr.2). Die Entwicklung muß angehalten werden, ehe die Schatten oder die unbelichteten Teile des Papiers anfangen, grau zu werden. Man schüttelt von der Oberfläche des Papiers das Wasser ab oder tupft es mit einem Stück trockenem Stoff ab (um zu vermeiden, dass das Bild rasch schleierig wird), die Solarisation findet danach statt (Belichtung des Negativpapiers, drei Sekunden einen Meter von einer 45-Watt-Birne entfernt). Das weiße Licht wird ausgeschaltet und die Entwicklung geht eine oder zwei Minuten lang durch die Sättigung weiter, ohne daß das Papier in den Entwickler getaucht werden muß. Dann wird das Bild normal fixiert. Von diesem Negativ wird ein Abzug auf mattem Bromidpapier gemacht.“ (Zitiert nach: Arturo Schwarz, ‚Man Ray’, Rogner und Bernhard 1980, S.300)
    [Anmerkung Josef: Arturo Schwarz zitiert hier nach „Man Ray an Maurice Tabard in ‚Arts et Metiers graphiques‘, zit. bei F. De L., ‚La solarisation‘, in: ‚Instantane‘, (Paris) März 1934“. Man Ray beschreibt hier also Fototechnik von 1934, ich gehe davon aus, dass mit den Zwischenstufen Papiernegative gemeint sind, lasse mich aber gerne anderweitig belehren; denkbar wären auch Übersetzungsungenauigkeiten].

    Eines der schönsten Beispiele dieser Technik ist das Portrait, das Man Ray von Max Ernst angefertigt hat: Die fotografische Darstellung des großen Surrealisten Ernst auf surreale Art und Weise.

    Solarisation war nun aber keine Entdeckung von Lee Miller, auch nicht von Man Ray, obwohl Man Ray die Sache perfektioniert hat und es seinen künstlerischen Wurzeln entgegenkam: „(…) ein Entwicklungsverfahren, durch das die Konturen des Gesichts wie bei einer Zeichnung durch eine schwarze Linie hervorgehoben werden.“ (Zitiert nach: Arturo Schwarz, ‚Man Ray’, Rogner und Bernhard 1980, S.299/300). Man darf nicht vergessen, dass Man Ray kein Fotograf, sondern dadaistisch/surrealistischer Künstler war, ursprünglich Zeichner und Maler. Und als Dadaist und Surrealist grundsätzlich neugierig und experimentierfreudig.

    Das Verfahren an sich war also weder eine Entdeckung von Lee Miller noch von Man Ray, sondern wurde schon über 80 Jahre früher beschrieben: „Die Vorläufer der Solarisation liegen mindestens ebenso weit zurück wie die der Rayografie. Der Begriff wurde 1840 von John William Draper zum ersten Male gebraucht, um die chemische Veränderung zu bezeichnen, die ein Negativ zum Teil in ein positives Bild verwandelt, wenn das Negativ während der Entwicklung kurz dem Licht ausgesetzt wird. Zweiundzwanzig Jahre darauf stieß der französische Gelehrte Sabattier unabhängig auf dasselbe Phänomen, das in Frankreich als »Sabattiereffekt« bekannt wurde.“ (Zitiert nach: Arturo Schwarz, ‚Man Ray’, Rogner und Bernhard 1980, S.300)

    Und da kommen wir zum praktische Kern der Sache: „… um die chemische Veränderung zu bezeichnen, die ein Negativ zum Teil in ein positives Bild verwandelt, wenn das Negativ während der Entwicklung kurz dem Licht ausgesetzt wird.“ Das geht auch mit belichtetem Fotopapier, nicht nur mit Negativen.

    Wer irgendwie Zugang zu einer Dunkelkammer bzw. zu Entwicklermaterialien, einem Vergrößerungsapparat und einem dunklen Badezimmer hat sollte es mal ausprobieren. Es funktioniert, wie oben schon geschrieben, auch einfacher, nämlich mit Fotopapier, das von normalen Negativen normal belichtet wird (nicht jeder traut sich gleich mit Negativen zu experimentieren: Wenn es schiefgeht sind diese schließlich unwiederbringlich hinüber). Dieser normal belichtete, noch nicht ganz fertig entwickelte Bogen Fotopapier wird während der Entwicklung in der Entwicklerschale mittels eingeschaltetem Raumlicht kurz nachbelichtet, dann wird das Licht wieder ausgeschaltet, der Fotopapierbogen fertig entwickelt, normal fixiert, gewässert und getrocknet. Auf diese Weise entstehen experimentelle Unikate, die im Sinne der Kunst als Unikate stehen gelassen werden können. Oder sie werden bei Bedarf abfotografiert und vervielfältigt (heutzutage auch per Scan).

    Ich habe das vor Jahrzehnten im SW-Labor gerne gemacht und kann versichern: Es macht richtig Spaß; eben weil nicht nur bei der damaligen Entdeckung der Technik selbst, sondern auch heute bei den Endergebnissen viel dem Zufall überlassen ist und nichts von Kameratechnik oder ähnlichem Ballast abhängt.

    Und wenn Sie dann schon mal in einer Dunkelkammer sind könnten Sie auch gleich noch mit Fotogrammen experimentieren.

    Man Ray:

    „Ein Bogen Photopapier gelangte in eine Schale mit dem Entwickler – ein unbelichteter Bogen, der aus Versehen unter die schon Belichteten geraten war…Ich wartete vergebens ein paar Minuten auf das Erscheinen des Bildes, bedauerte die Papierverschwendung und legte mechanisch einen kleinen Glastrichter, ein Messglas und ein Thermometer in die Schale auf das nasse Papier. Ich drehte das Licht an, und vor meinen Augen begann sich ein Bild zu formen, nicht einfach eine bloße Silhouette der Gegenstände wie in einer normalen Fotographie, sondern verzerrt und gebrochen durch das Glas, das nicht gleichmäßig im Kontakt mit dem Papier war, ein Bild, das sich von dem schwarzen Hintergrund abhob, dem Teil, der unmittelbar dem Licht ausgesetzt war. Ich erinnerte mich an meine Knabenjahre, als ich Farnkraut in einen Kopierrahmen auf Photopapier einlegte, es belichtete und so ein weißes Negativ der Blätter erhielt.“ (zitiert nach: Otto Stelzer, „Kunst und Photographie“, S. 69/70, R.Piper&Co. Verlag München 1978).

    Dieses Verfahren, das im Falle von Man Ray Rayographie genannt wird, wurde ziemlich zeitgleich auch von Christian Schad entdeckt und dort als „Schadographie“ bezeichnet, was jeweils schöne Wortspiele zulässt: Rayographie enthält „Ray“, also den Lichtstrahl, und Schadographie, als „Shadowgraphy“ verstanden, enthält „Shadow“, also den Schatten. Licht und Schatten. Außerdem stieß auch noch Laszlo Moholy-Nagy zur gleichen Zeit auf diese Methode.

    Vielleicht wegen der Rayographien; jedenfalls riet Man Ray seinen Schülern: „Ich habe zu meine Studenten gesagt: ‚Wenn Sie Fotografien machen wollen, werfen Sie den Fotoapparat weg.‘“ (zitiert nach: Arturo Schwarz, „Man Ray“, S. 286, Rogner&Bernhard GmbH&Co. Verlag, München 1980).

    Und genau deshalb möchte ich auch diese Experimente empfehlen: Sie bringen uns, zumindest für den Moment, weit weg von ermüdenden, und, geben Sie es zu, im Grunde sinnlosen Diskussionen über Pixel, die Qualität von Kameragehäusen, Schärfeleistung von Objektiven, überzogene Preise von Equipment oder auch nicht und ähnlich stressbehaftetem Zeug. Glauben Sie mir: Das habe ich jahrzehntelang erlebt, Diskussionen über Auflösungsvermögen von Objektiven und Filmen und dergleichen Unfug. Können Sie mir EIN Foto von Weltrang nennen, bei dem der technische Aspekt eine Rolle spielt?

    Legen Sie Ihren teuren Kram zur Seite. Geben Sie ein paar Euro aus und verschanzen Sie sich an einem regnerischen Samstag in einer Dunkelkammer. Werden Sie kreativ (oh wie ich dieses Wort im allgemeinen Sprachgebrauch hasse). Werden Sie Kind. Nehmen Sie Kinder oder Enkel mit. Sie werden leuchtende Augen sehen.

    Diese Techniken bringen uns zurück zum Ursprung, den man nie vergessen sollte: Photographie = „Mit Licht zeichnen“.

    Und wer in nächster Zeit in München zu tun hat: Im Amerikahaus sind noch bis 31. Juli 2025 Fotos von Lee Miller ausgestellt. Sehr sehenswert, Eintritt frei. Spätestens dort relativiert sich sowieso einiges.

  • Kommentar TEIL II

    Der Begriff „Solarisation“ in Bezug auf Fototechniken ist im Sprachgebrauch einigermaßen verwirrend, deshalb möchte ich meinen am 21.April 2025 geposteten Kommentar ergänzen.

    Ich habe mich dort auf die von Lee Miller und Man Ray angewandte Methode beschränkt, weil es beim Text von Frau Hill um Lee Miller geht. Mit dem Begriff „Solarisation“ können aber zwei unterschiedliche Verfahren gemeint sein.

    Die von Miller/Ray verwendete Technik wird auch „Pseudosolarisation“ genannt; im allgemeinen Sprachgebrauch und in den Texten zu Lee Miller und Man Ray (auch in Museumstexten und Auktionskatalogen) wird sie aber so gut wie ausschließlich als „Solarisation“ bezeichnet.

    Den von Frau Hill genannten Effekt der Schwärzung durch extreme Überbelichtung eines Negativs gibt es allerdings auch, und auch diese Technik wird als „Solarisation“ bezeichnet, obwohl beide Verfahren nichts miteinander zu tun haben. Diese andere Methode wurde meines Wissens jedoch weder von Lee Miller noch von Man Ray angewandt, zumindest ist mir momentan kein entsprechendes Bild gegenwärtig.

    Diese andere, ebenfalls interessante Analog-Technik hat auch nichts mit der von Miller/Ray praktizierten Nachbelichtung von Negativ oder Papier während des Entwicklungsprozesses zu tun. Der Effekt wird vielmehr durch starke Überbelichtung eines Bildteils bei der Belichtung erzeugt. Durch diese Überbelichtungs-Methode sind die von Miller/Ray erzeugten Resultate allerdings nicht erzielbar. Der Effekt ist völlig anders, die teilweise Tonwertumwandlung tritt hier nicht über das ganze Bild verteilt auf wie zum Beispiel bei Man Rays oben schon erwähntem Portrait von Max Ernst von 1935, dem „Self-Portrait with Camera“ von 1932 , „Primat de la matiere sur la pensee“ von 1929 usw., sondern beschränkt sich auf die allerhellsten Stellen des Fotos, z.B. die Sonne am Himmel. Ein schönes Beispiel dafür ist das Bild „Black Sun, Tungsten Hills, Owens Valley, California“, das Ansel Adams 1939 aufgenommen hat. Dieses Ergebnis wurde durch die von Frau Hill genannte extreme Überbelichtung erzielt.

    Ansel Adams beschreibt die Entstehung des Bildes so: „ »Schwarze Sonne« im »Owens Valley«, Kalifornien. Da die Schatten mit Zone V belegt wurden, geriet die helle Sonne über die Schulter der Schwärzungskurve [des Films, Anm. Josef] in den Bereich abnehmender Dichte. Diese echte Solarisation (im Gegensatz zur Pseudosolarisation, einer Dunkelkammertechnik) ließ die Sonne zum schwarzen Kreis werden. Die Sonnencorona und die Reflexe im Wasser bleiben noch im Bereich der Kurvenschulter und werden weiß wiedergegeben. Das Negativ wurde in Brenzkatechin mit seiner hohen Ausgleichswirkung entwickelt. Die Oberflächenentwicklung dieses Entwicklertyps trug zum Umkehreffekt bei.“ (Erläuterung zum abgedruckten Bild in: Ansel Adams, „Das Negativ“, Christian Verlag GmbH München 1982, S. 103 [Kapitel „Zonensystem“]).

    Das die Belichtung betreffende Zonensystem ist im o.g. Buch auf rund 50 Seiten beschrieben, auf Seite 101 sind die Schwärzungskurven für Ilford FP 4 und Ilford Pan F abgedruckt und erläutert, auf Seite 102 die Kontraststeigerung bzw. -abschwächung in Abhängigkeit von der Entwicklungszeit für Kodak TRI X Professional 13×18 Planfilm. Für den, der es vielleicht mal ausprobieren will.

    Möglicherweise habe ich jetzt auch noch die letzten Klarheiten beseitigt, trotzdem wollte ich das noch ergänzen :-)

    Und die beiden Kommentare bitte keinesfalls als Kritik an Ihrem Text missverstehen, sehr geehrte Frau Hill. Es geht bei Ihnen ja um den Lebensweg von Lee Miller, und das Thema Solarisation ist nur ein einzelner Satz darin. Ich wollte lediglich die Technik ergänzend beschreiben für diejenigen unter den Lesern, die sich solarisierte Bilder anschauen und vielleicht selbst mal mit der Methode Miller/Ray experimentieren wollen.

    Liebe Grüße

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