Muse, Model, Surrealistin, Modefotografin, Gourmetköchin – in ihrem bewegten Leben war Lee Miller vieles. Die zahlreichen Titelbilder und Kunstwerke mit ihrem Abbild zeigen, dass sie zu ihrer Zeit selbst gesehen wurde, aber ihre eigenen Werke beweisen auch, dass sie nicht davor zurückschreckte hinzusehen. Denn sie war auch eine der ersten Frauen, die die Leiden des 2. Weltkrieges dokumentarisch festhielten. Um ihre fotografische Arbeit zu verstehen, braucht es aber einen Einblick in ihr sehr lebhaftes Leben:
Inhaltsverzeichnis
Zwischen den Fronten – Wer war die Fotografin Lee Miller?
Geboren im Jahr 1907 in Poughkeepsie, New York, U.S.A., brachte sie – wie so oft – der eigene Vater zur Fotografie. Mit einer Kodak Brownie Boxkamera lehrte Theodore Miller seinen Kindern vom Einfangen des Lichts und dem Festhalten von Augenblicken, was vor allem für die kleine Elizabeth Miller zu einer lebenslangen Faszination führte.
Foto: Die deutschen Bombenangriffe führten häufig zu Stromausfällen im Vogue-Studio, sodass Lee Miller oft Außenaufnahmen für ihre Modefotos machte. Dieser Ort ist der Eingang zum Luftschutzbunker im Garten von Roland Penroses Haus in Hampstead. Die Masken wurden von Luftschutzwächtern (Penrose war einer von ihnen) ausgegeben, um sie vor Brandbomben zu schützen. Lee Miller griff bei ihrer Arbeit für Vogue oft auf ihre surrealistische Vergangenheit zurück und verlieh ihren Modefotostrecken gelegentlich eine allgegenwärtige künstlerische Note. Manchmal ging sie jedoch etwas zu weit für die kommerzielle Modewelt… “Fire Masks” ist eines von Lees ersten Kriegsfotos und wurde als vielleicht zu makaber für eine Veröffentlichung angesehen. Die Modelle, die Masken demonstrieren, die gegen Brandbomben schützen sollen, posieren neben dem Luftschutzbunker in der Downshire Hill 21. Eine der Modelle hält lässig eine Luftschutzpfeife in der Hand. Ein Bunker, eine Maske und eine Pfeife – das war der gesamte zivile Schutz während des Blitzes. Der Fotohistoriker Mark Haworth-Booth sagt über dieses Bild: “Kein anderer Fotograf des sogenannten ‘Phoney War’ und des Blitzes scheint ein Bild wie dieses Porträt der doppelten Deformierung des Krieges geschaffen zu haben.” Veröffentlicht in der US-Vogue, am 15. Juli 1941, auf Seite 60. Bildunterschrift: Maske und Augenschutz, getragen von britischen Frauen als Schutz vor Brandbomben. Eine von ihnen hält eine Luftschutzpfeife.
In ihrer Jugend musste sie durch eine Vergewaltigung hervorgerufene Gonorrhoe-Erkrankung viele schmerzhafte Behandlungen über sich ergehen lassen, ehe sie in Paris einen Neustart wagte. Sie kam zur L’Ecole Madgyes pour la Technique du Theatre, wo sie für 7 Monate Licht und Bühnenbau studierte, nebenbei nach eigenen Angaben alle Künstler Paris kennenlernte und ihren Namen in Lee Miller änderte. Doch nach einem Jahr in Europa holt sie ihr Vater zurück in die Staaten, wo sie zunächst an der Arts Students League weiterstudierte.
Vom Zufall überrollt
Im Jahre 1927 brachte eine schicksalhafte Begegnung Lee Miller wortwörtlich in die Arme Condé Nast‘s, dem damaligen Verleger der Modezeitschrift „Vogue“, als er sie vor einem heranfahrenden Auto rettete. Nicht lange nach ihrem zufälligen Zusammentreffen ziert die junge Frau bereits das Titelbild der März Ausgabe der „Vogue“, illustriert von George LePape.
Viele weitere Modeshootings folgen, unter anderem wird sie von Größen wie Arnold Genthe und Nickolas Muray abgelichtet, doch die schöne Lee Miller will selbst lieber hinter der Kamera stehen.
Also reist sie 1928 zurück nach Paris und geht nach einem Empfehlungsschreiben von Fotograf Edward Steichen beim surrealistischen Künstler und Fotografen Man Ray in die Lehre. Aus der Zusammenarbeit wird schnell auch eine Liebesbeziehung und die beiden kreieren viele der heute berühmtesten Werke Rays. Gemeinsam mit Lee Miller perfektionierte Man Ray die Solarisationstechnik, bei dem ein Fotofilm durch starke Überbelichtung so verfremdet wird, dass es zu einem Umkehreffekt kommt und dunkle Partien heller werden und helle Partien dunkler.
Lee Miller arbeitet über die folgenden Jahre auch an eigenen Projekten in anderen Teilen Europas, porträtierte viele wichtige Namen ihrer Zeit wie Paul Éluard, Pablo Picasso, Max Ernst oder Joan Miró, doch als Miller und Ray sich trennen, kehrt sie 1932 zurück in die USA.
Gemeinsam mit ihrem Bruder Erik eröffnet sie ihr eigenes Fotostudio und übernimmt nun bald auch wieder Aufträge für die „Vogue“. 1934 heiratet sie den Ägypter Aziz Eloui Bey und zieht mit ihm nach Kairo, wo sie viele kleinere Dörfer, Ruinen und die Wüste fotografiert. Für ein Foto steigt sie sogar auf die Cheopspyramide. Doch das Leben in Afrika wird vom herannahenden 2. Weltkrieg überschattet.
Zwischen die Fronten geraten
Auf einer Alleinreise 1937 nach Frankreich lernt Lee Miller dann den surrealistischen Künstler und Kurator Roland Penrose kennen, verliebt sich in ihn und lernt auf gemeinsamen Reisen durch Europa auch Pablo Picasso kennen, der sie sechsmal auf Bildern verewigte.
Als dann 1939 der Krieg ausbricht, scheidet sie sich von ihrem ägyptischen Ehemann und zieht nach London, um bei Penrose zu sein.
1940 wird Lee Miller von der „Vogue“ als Modefotografin eingestellt, bevor sie 1942 als Kriegsberichterstatterin akkreditiert wurde. Ihre Bilder vom London Blitz, der Invasion der Alliierten sowie die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau zählen zu den wichtigsten Bilddokumenten des 2. Weltkrieges. Gemeinsam mit dem Fotografen David E. Scherman dokumentierten sie viele der europäischen Kriegseinsätze. Noch bis zur Schlacht in St. Malo durfte Lee Miller als Frau jedoch keine aktiven Kampfeinsätze dokumentieren, da sie die US War Correspondents card nicht besaß und Frauen nur von friedlichen Orten Bericht erstatten sollten. Doch als sie in St. Malo eintraf, war die Schlacht noch im vollen Gange und als einzige Reporterin vor Ort dokumentierte sie das Geschehen, wurde daraufhin aber unter Hausarrest gestellt.
Nachdem sie ihre Strafe abgesessen hatte, traf sie wieder auf die Division 83, die sie zuletzt in St. Malo dokumentierte und konnte die Befreiung Paris’ gemeinsam mit ihrem alten Freund Picasso miterleben. Nachdem sie die Befreiung des Konzentrationslagers in Dachau festhielt und Zeuge des dortigen Leides wurde, porträtierte sie Scherman in Hitlers Badewanne in München, wo sie seine Privatsphäre mit dem Dreck, ihrer Wut und ihrem Ekel über den Krieg zu beschmutzen scheint.
Nach dem Kriegsende reist sie noch weiter durch Europa, um die Nachwirkungen des Krieges festzuhalten, kehrt jedoch 1946 nach London zurück, um Roland Penrose zu heiraten. Gemeinsam ziehen sie mit ihrem Sohn Antony in das Farley Farm House in Chiddingly, welches über die Jahre zum Mekka für Künstler wird.
Unter PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) leidend entfernt sich Lee Miller schlussendlich von der Fotografie und widmet sich mehr der surreellen Kochkunst.
1977 verstirbt Lee Miller nach einer Krebserkrankung. Ihr Sohn Antony entdeckt auf dem Dachboden der Familienfarm über 60.000 Negative, 20.000 Abzüge und Kontaktbögen, Dokumente und Schriftstücke aus dem bewegten Leben seiner Mutter, die er mit seiner Frau nach und nach in Form von Ausstellungen, Büchern und anderen Publikationen veröffentlicht.
Seit dem 19. September läuft in den deutschen Kinos der Film “Die Fotografin” mit Kate Winslet als Lee Miller in der Hauptrolle, der über ihre Person erzählt. Wir werden in einer Rezension des Films ihre Persönlichkeit noch mal aufnehmen und bewerten, ob das Porträt dieser wichtigen und besonderen Frau gelungen ist.
Des Weiteren kann man Lee Millers zahlreiche Fotografien im Farleys House & Gallery bestaunen oder sie sogar über die Picture Gallery des Lee Miller Archives erwerben.
- Miller, Lee (Autor)
© Karoline Hill – Zwischen den Fronten – Wer war die Fotografin Lee Miller?
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Mein Lob für dieses differenzierte Portrait des Menschen Lee Miller. Danke für Deine Mühe, die sich ausgezahlt hat. Ich freue mich auf Deine Rezension des Films, Karoline.
Herzlich Peter
Liebe Frau Hill,
gestern waren wir im Kino und haben uns den Film “Die Fotografin” angesehen! Danke, denn Ihr Artikel hat noch wertvolle Hintergundinformationen über diese großartige Frau geliefert, die ein Film naturgemäß nicht in diesem Umfang liefern kann!
Der Film vermittelt sehr eindrucksvoll die Persönlichkeit von Lee Miller, die Kate Winslet einmalig darstellt. Die Kameraführung trägt dazu bei, die Emotionen, die Atmosphäre zu übertragen. Lange Szenen nur mit Nahportrait von Lee Miller und David Schermain, das Entsetzen beider als sie in Dachau ankommen, für die Zuschauer greifbar. Selbst das unvermeidliche Popcorn- Geraschel verstummte da! Und es rannte auch keiner nach dem letzten Bild zum Ausgang. Wir alle blieben bis zum Ende des Abspanns sitzen! Der Film lohnt auf jeden Fall einen Kinobesuch! Vielleicht auch für alle AfD- Wähler, zwecks politischer Bildung!
Danke noch einmal für Ihren Artikel!
Herzliche Grüße
F.Seeber