Inhaltsverzeichnis
Die Unschärfe in der Objektfotografie – Revolution kleine Schärfentiefe offene Blende
Bis in dieselektive schärfe 1990er Jahre war es selbstverständlich: In der Naturfotografie, Landschaftsfotografie, Objekt- und Food-Fotografie strebten die meisten Fotografinnen und Fotografen eine möglichst durchgehende, große Schärfentiefe von Unendlich bis weit vorne an. Landschaften, Produkte und Speisen wurden mit kleinen Blendenöffnungen wie f/16, f/22 oder gar f/32 fotografiert.
Ziel war es, jedes Detail sichtbar und gestochen scharf darzustellen – eine Tradition, die sich über Jahrzehnte etabliert hatte. Zwar wusste man auch früher schon um das Thema Diffraktion, welches die Schärfe einer Fotografie bei kleinen Blendenöffnungen verschlechtert, anders jedoch waren oft keine großen Schärfentiefen möglich.
Berühmte Fotografen wie Andrew Montgomery, der heute für seine atmosphärischen Stillleben bekannt ist, arbeiteten damals noch häufig mit analogen Mittelformatkameras wie der Pentax 67. Mit Blendenwerten um f/32 und Techniken wie der Scheimpflug-Regelung wurde eine perfekte Schärfeebene erreicht. Diese Arbeitsweise war aufwendig und verlangte höchste Präzision.
Der Umbruch: Jamie Oliver und der neue Stil
Gegen Ende der 1990er Jahre kam ein frischer Wind in die Food-Fotografie: Mit der Veröffentlichung seines ersten Buches „The Naked Chef“ im Jahr 1999 brach der britische Koch Jamie Oliver gemeinsam mit seinem Fotografen David Loftus bewusst mit alten Konventionen. Anstelle technischer Perfektion standen Authentizität, Emotionen und Natürlichkeit im Vordergrund.
Noch mutiger wurde Loftus mit den Titeln “Jamie´s Italy” aus dem Jahr 2006 (dt.: “Genial italienisch”) oder “Jamie at Home” aus dem Jahr 2007 (dt.: “Natürlich Jamie”). In diesen Publikationen wird offensichtlich mit der Konservativität in der Bildsprache der Foodbranche gebrochen.

Große Blendenöffnungen wie f/1.4, f/2 oder f/2.8 wurden gezielt eingesetzt, um einen Großteil des Motivs in weiche Unschärfe tauchen zu lassen. Nur kleine Bereiche – etwa ein Stück Brotkruste oder die Spitze eines Basilikumblatts – lagen im Fokus. Diese neue Ästhetik vermittelte Intimität, Wärme und eine erzählerische Kraft, die perfekt zu Olivers revolutionärem Kochstil passte.
Als ich in Deutschland ein besonders konservatives deutsches Tiefkühlunternehmen überzeugen wollte, dass seine Fotos langweilig waren, hatte Jamie Oliver die Foodfotografie bereits revolutioniert. Er ist ein Querdenker, probiert aus, geht neue Wege, vermutlich ist er deshalb so unglaublich erfolgreich.
Schauen Sie sich mal Ihre Kochbücher zu Hause aufmerksam an. Ältere Bücher oder Tiefkühlprospekte zeigen eine durchgehende Schärfe von vorne bis hinten, moderne Bücher arbeiten mit kleinen, selektiven Schärfentiefen. Hier läuft uns das Wasser im Mund zusammen.

Revolution kleine Schärfentiefe offene Blende – David Loftus
Der Fotograf von Jamie Oliver ist einer der Hauptverantwortlichen für den Wandel in der Food-Fotografie. Loftus nutzt gezielt Unschärfe, um Emotionen und Natürlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Seine Arbeiten für „The Naked Chef“ (1999) gelten als stilprägend.
Andrew Montgomery (Stillleben und Lifestyle)
Andrew Montgomery ist ein weiteres Beispiel dafür, dass sowohl klassische Tiefenschärfe (z. B. mit Pentax 67 und f/32) als auch moderne selektive Schärfe nebeneinander bestehen können. Er verbindet traditionelle Techniken mit einem frischen, atmosphärischen Stil. Seine Techniken haben sich im Laufe der Zeit ebenfalls geändert.
Nicht mehr die ganz großen Blendenzahlen von f/22 sind en vogue, es sind die kleinen Zahlen wie f/2, die jetzt mithilfe einer gezielte Unschärfe im Foto unser Auge führen.
Technische Entwicklungen unterstützen den Trend
Ab der Jahrtausendwende wurden lichtstarke Objektive für digitale Spiegelreflexkameras erschwinglicher. Digitale Sensoren entwickelten sich rasant weiter, und Fotografen konnten nun flexibler mit Licht, Schärfe und Bildgestaltung experimentieren. Die Inszenierung von selektiver Schärfe – also bewusster Unschärfe – wurde schnell zu einem Markenzeichen moderner Objekt- und Food-Fotografie.

Der nachhaltige Einfluss
Heute ist die bewusste Nutzung der kleinen Schärfentiefe, offene Blende ein fester Bestandteil vieler fotografischer Genres: in der Produktfotografie, bei Porträts, in der Reportage und insbesondere in der Food-Fotografie. Die Bildsprache wirkt durch die selektive Schärfe emotionaler, lebendiger und moderner. Was einst ein mutiger Bruch mit Traditionen war – wir können uns nur bei Menschen wie Jamie Oliver bedanken-, ist heute nahezu selbstverständlich geworden.
Und dennoch: Fotografen wie Andrew Montgomery zeigen bis heute, dass beide Ansätze – das Spiel mit Schärfe und der bewusste Einsatz durchgehender Schärfe – ihre Berechtigung haben. Die Wahl der Blende bleibt ein kreatives Mittel, das bewusst und gezielt eingesetzt werden will.
Zusätzliche Kreativität
Eine hohe Kreativität bekommt das Thema Schärfe oder Unschärfe, Bokeh, auch durch die Tilt-Objektive, die meist auch Shift-Objektive sind. Was früher bei Fachkameras und schon bei Ansel Adams die Scheimpflugtechnik war, kann auch gezielt für Unschärfe genutzt werden. Früher war es undenkbar, Teile des Bildes aus der Unschärfe in die Schärfe und zurück in die Unschärfe gleiten zu lassen.
Erst mit mutigen, unkonventionellen, experimentierfreudigen Menschen wie Jamie Oliver wurde es hoffähig, diese Technik immer wieder bewusst anzuwenden.

Fazit selektive Schärfe
Die selektive Unschärfe in der Fotografie ist nicht einfach ein technischer Effekt, sondern Ausdruck eines grundlegenden Wandels im fotografischen Stilverständnis. Jamie Oliver und Fotografen wie David Loftus prägten diesen Wandel entscheidend – und zeigten, dass Emotion wichtiger ist als vermeintliche technische Perfektion.
Sicherlich ist Grundlagenwissen das Erste, was es zu lernen gilt. Landschaftsfotos mit f/11, die Hyperfokale und vieles mehr. Später sollten wir experimentieren, den Blick lenken und unser Gefühl befragen, was für uns richtig ist. Eine kleine Schärfentiefe, offene Blende, selektive Schärfe auf das, was uns wichtig ist, vermittelt Gefühle. Es erzählt eine Geschichte von einem Fotoausflug in die Schönheit. Genau das ist es, was wir vermitteln können.
Mehr Know-how zum Thema
Mit Offenblende kreativ fotografieren – Lichtstarke Objektive >>
Super scharfe Landschaftsfotos – Perfekte Schärfe und Blende >>
Charme in der Fotografie mit magischen Festbrennweiten >>

© Peter Roskothen ist Fotograf, Fototrainer, Fotojournalist – Selektive Schärfe der Fotografie: Revolution kleine Schärfentiefe offene Blende
Hilfeaufruf 2025 von *fotowissen
*fotowissen leistet journalistische Arbeit und bittet um Ihre Hilfe. Uns fehlen in diesem Jahr noch etwa € 25.219,72,- (Stand 08.05.2025, 13:00 von ursprünglich 30 TSD.), um den Server, IT, Redaktion und um die anderen Kosten zu decken. Bitte beschenken Sie uns mit dem Spendenbutton, sonst müssen wir in Zukunft die meisten Artikel kostenpflichtig bereitstellen. Das wäre schade, auch weil es für uns vor weitere unkreative Aufgaben stellt, die wir zeitlich kaum stemmen wollen. Vielen Dank!
Mit Paypal für *fotowissen schenken. Vielen Dank!*fotowissen Newsletter
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit dem *fotowissen Newsletter, der sonntagmorgens bei Ihnen zum Frühstück bereitsteht. Der *fotowissen Newsletter zeigt die neuesten Beiträge inklusive des Fotos der Woche, Testberichte, Tipps und Ideen für Ihre Fotografie und vieles mehr. Einfach anmelden, Sie können sich jederzeit wieder abmelden und bekommen den Newsletter einmal pro Woche am Sonntag:
Bitte schreiben Sie einen konstruktiven Kommentar, vielen Dank.