- Faszination Tschernobyl – Fotografieren in der Sperrzone
- Ein Gastbeitrag von Thomas Stürz
- Vorwort (Dirk Trampedach)
- Faszination Tschernobyl – Fotografieren in der Sperrzone
- Verrücktheit & Faszination
- Foto-Equipment für Tschernobyl
- Aufarbeitung der Eindrücke
- Bewohner von Tschernobyl
- Vision
- Fakten zur Tschernobyl-Katastrophe
- Technischer Ablauf
- Freigesetzte Radioaktivität
- Folgen
- Bedeutung
Faszination Tschernobyl – Fotografieren in der Sperrzone
Ein Gastbeitrag von Thomas Stürz
- “Bist du verrückt?”
- “Wirst du jetzt an Krebs erkranken?”
- “Willst du, dass dir ein dritter Arm wächst?”
- “Leuchtest du jetzt im Dunkeln?”
Vorwort (Dirk Trampedach)
Liebe Fotobegeisterte, vor einiger Zeit hatte ich im Rahmen einer Gemeinschaftsausstellung die Gelegenheit, den Fotografen Thomas Stürz kennenzulernen. Seine Fotografien zu bewundern, die er in Tschernobyl aufgenommen hat, und Hintergründe zu den Reisen nach Tschernobyl zu erfahren, haben den Ausschlag gegeben, ihn in seiner Ausstellung bzgl. eines Gastartikels hier bei *fotowissen.eu anzusprechen. Die Fotografien, als auch die Tatsache, überhaupt dorthin zu reisen, sind beeindruckend.
Zum Glück ist Thomas Stürz meiner Einladung gefolgt. Mit diesem Artikel erzählt er uns seine Geschichte zu der Faszination Tschernobyl und zu seiner Fotografie in der Sperrzone.
Dir, Thomas, herzlichen Dank für deinen Gastbeitrag, und Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, wünsche ich viel Freude beim Lesen und Schauen!
Faszination Tschernobyl – Fotografieren in der Sperrzone
Einleitend steht oben zu Beginn eine kleine Auswahl an Fragen, die mir von vielen Menschen aus dem direkten Umfeld zu meiner Faszination Tschernobyl gestellt wurden. Und wie konnte ich es ihnen auch verübeln, viele hatten die Katastrophe damals live miterlebt und nun will ich da „Urlaub“ machen.
Ich war auf diese und andere Reaktionen natürlich vorbereitet und konnte mit fundiertem Wissen auftrumpfen:
„Die Strahlung ist, mal von den Hotspots abgesehen, nur geringfügig höher als normal“ oder „Ich bekomme auf dem Hin- und Rückflug mehr Strahlung ab wie in der Sperrzone“. Schlagfertige Argumente sollte man meinen.
Pustekuchen! Du fährst nach Tschernobyl, in das verseuchtes Gebiet auf der ganzen Welt!
Du bist verrückt!
Verrücktheit & Faszination
Ja, ein bisschen verrückt bin ich. Aber wieso wollte ich da unbedingt hin?
Um 2011 muss mein Interesse für die Sperrzone und die Atomkatastrophe geweckt worden sein. 2011 – war da nicht was? Ja, leider sollte Japan von einer Reihe von massiven Erdbeben erschüttert werden, und drei Reaktoren des Kernkraftwerks von Fukushima sollten explodieren und schmelzen. Diese tragische Wiederholung in der Geschichte der Menschheit sollte mein Interesse, nein, meine Faszination für Tschernobyl, für die Atomkraft und ihre fatalen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt zur Folge haben.
Mit der Spiele-Reihe S.T.A.L.K.E.R. und der gleichnamigen Romanvorlage der Strugatzki Brüder, konnte ich in die virtuelle und literarische Welt der Sperrzone eintauchen. Ausgerechnet der Entdecker in mir wollte aber mehr und mit meiner neu gewonnenen Leidenschaft für die Fotografie bot sich wunderbar als Medium dafür an.

Foto-Equipment für Tschernobyl
Treue Begleiter auf allen meinen Ausflügen zwischen 2020 und 2022 war die Sony Alpha Serie, mit der A6000 und A6600. Neben dem Zeiss 16-70mm als „Immerdrauf“ musste das Sigma Trio aus 16mm, 30mm und 56mm mitgenommen werden. Gerade das 16mm, mit seiner Blende 1.4, war für die Video-Aufnahmen sein Geld wert. In den verlassenen Gebäuden waren die Lichtverhältnisse fordernd und reizten die guten ISO-Verhältnisse der APS-C-Sensoren bis aufs Äußerste.
Das leichte Packmaß erwies sich auf den teilweise langen Marschrouten als Segen. In der Zone angekommen und von allen Eindrücken erschlagen, versuchte ich diese „vollumfänglich“ zu erfassen. Das Sigma 16mm performte am stärksten und ich war jedes Mal über die Schärfe, aber auch die universelle Einsetzbarkeit beeindruckt.
Aufarbeitung der Eindrücke
Neben vielen Fotos mussten das Erlebte und die vielen Eindrücken noch irgendwie aufgearbeitet werden und da es dafür keine Software von Adobe gibt, fiel mir dies auch am schwersten.
Für mich war definitiv die [Geister-]Stadt Pripyat von entscheidender Bedeutung. Durch mein Eintauchen in die Zone hatte ich mich im Vorfeld viel über die Einzelschicksale des Kraftwerkspersonal und der Feuerwehrleute auseinandergesetzt und habe daher auch viel über Pripyat vor der Katastrophe erfahren. Der „Vorher-Nachher-Vergleich“ hat mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Er zeigt, wie schnell die Natur ihren alten Lebenslauf wiederherstellt.
Bewohner von Tschernobyl
Neben visuellen Eindrücken konnte ich auch die sogenannten Selbstsieder “Samosely” besuchen. Im Jahr 2025 leben keine 100 Menschen mehr in der Sperrzone und ich war beeindruckt wie diese Personen, aller Widrigkeiten und Gefahren zum Trotz, sich Ihrer „Erde“ verbunden fühlen. Hier wird mir auch immer die Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit in Erinnerung bleiben – diese Menschen haben es so schwer und sie haben so wenig, empfangen mich wiederum mit einer Wärme, so als ob ich zur Familie gehöre. Wahnsinn!
Vision
Als ich gegen Ende meiner ersten Tour meinem Guide sagte: „Puh, ich habe fast alles gesehen, ich komme vielleicht in zwei oder drei Jahren wieder.” wusste ich noch nicht, dass ich bereits mit der Zone infiziert war. Nach insgesamt drei Touren und 15 verbrachten Tagen in 1 ½ Jahren ist meine Faszination für die Sperrzone ungebrochen.
Ob es nun die Einzelschicksale sind, der Wunsch des Menschen, sich das Atom gefügig zu machen oder zuzusehen, wie sich die Natur den Lebensraum wiederholt, in dem zuvor knapp 50.000 Menschen gelebt haben.

Die Sperrzone ist einmalig, die Sperrzone ist, auf eine seltsame Weise, schön, die Sperrzone ist Geschichte …
Danke für Ihr Interesse an meiner Faszination für Tschernobyl, sowie den Fotografien aus der Sperrzone!
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Stürz
© Fotos und Text Thomas Stürz.
Fakten zur Tschernobyl-Katastrophe
Ergänzt vom *fotowissen-Chefredakteur
Die Tschernobyl-Katastrophe ereignete sich am 26. April 1986 im Kernkraftwerk Tschernobyl in der heutigen Ukraine, damals Teil der Sowjetunion. Es war der bislang schwerwiegendste Unfall in der Geschichte der zivilen Kernenergie und wird von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) als Stufe 7 (katastrophaler Unfall) auf der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) eingestuft – die höchste Kategorie.
Technischer Ablauf
Der Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks explodierte während eines Sicherheitstests. Der verwendete Reaktortyp vom Typ RBMK-1000 hatte konstruktive Schwächen, darunter ein positiver Dampfblasenkoeffizient und fehlende stabile Sicherheitsgehäuse. Während des Tests wurde das Kühlsystem abgeschaltet und die Leistung des Reaktors wurde durch Bedienfehler und mangelhafte Kommunikation unkontrollierbar hochgefahren. Dies führte zur unkontrollierten Kettenreaktion, Explosionen und schließlich zum Freisetzen großer Mengen radioaktiven Materials.
Freigesetzte Radioaktivität
Bei der Explosion und dem anschließenden Brand wurden schätzungsweise 5–10 % des radioaktiven Inventars des Reaktors in die Atmosphäre geschleudert. Besonders gefährlich waren dabei Isotope wie Cäsium-137, Jod-131 und Strontium-90. Die radioaktive Wolke zog über große Teile Europas, insbesondere Weißrussland, Russland, die Ukraine, Skandinavien und Teile Deutschlands.
Folgen
- 31 Menschen starben in den ersten Wochen direkt an akuten Strahlenkrankheiten.
- Hunderttausende wurden evakuiert, darunter rund 115.000 Menschen aus einem 30-Kilometer-Radius.
- Langfristige Gesundheitsfolgen wie Schilddrüsenkrebs, insbesondere bei Kindern, wurden wissenschaftlich belegt.
- Die Zone um das Kraftwerk wurde zur Sperrzone, bekannt als „Zone der Entfremdung“.
- Die wirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf mehrere hundert Milliarden US-Dollar.
- Die Aufräumarbeiten („Dekontamination“) dauerten Jahrzehnte und sind bis heute nicht abgeschlossen.
- Über dem zerstörten Reaktor wurde 2016 ein neuer Sarkophag errichtet, um weitere Strahlungsaustritte zu verhindern.
Bedeutung
Die Katastrophe hatte weltweite Auswirkungen auf die Energiepolitik, insbesondere in Europa. Länder wie Deutschland begannen mit dem schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie. Die Katastrophe steht bis heute als Symbol für die Risiken der Atomkraft und für das Versagen staatlicher Transparenz im Umgang mit Katastrophen.
Hilfeaufruf 2025 von *fotowissen
*fotowissen leistet journalistische Arbeit und bittet um Ihre Hilfe. Uns fehlen in diesem Jahr noch etwa € 22.636,03,- (Stand 15.06.2025, 14:00 von ursprünglich 30 TSD.), um den Server, IT, Redaktion und um die anderen Kosten zu decken. Bitte beschenken Sie uns mit dem Spendenbutton, sonst müssen wir in Zukunft die meisten Artikel kostenpflichtig bereitstellen. Das wäre schade, auch weil es für uns vor weitere unkreative Aufgaben stellt, die wir zeitlich kaum stemmen wollen. Vielen Dank!
Mit Paypal für *fotowissen schenken. Vielen Dank!*fotowissen Newsletter
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit dem *fotowissen Newsletter, der sonntagmorgens bei Ihnen zum Frühstück bereitsteht. Der *fotowissen Newsletter zeigt die neuesten Beiträge inklusive des Fotos der Woche, Testberichte, Tipps und Ideen für Ihre Fotografie und vieles mehr. Einfach anmelden, Sie können sich jederzeit wieder abmelden und bekommen den Newsletter einmal pro Woche am Sonntag:
Sehr geehrter Herr Stürz,
das Attribut, verrückt zu sein, wird schnell vergeben, wenn man ein außergewöhnliches Projekt verwirklichen will. Meinen großen Respekt für diese Reisen. Es gibt unterschiedliche Wüsten, aber dieses Gebiet ist eine Wüste der anderen Art mit einer Bedrohung, die man weder sehen noch spüren kann. Beim Lesen Ihres Berichts fiel mir der Satz ein: die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur. Unvorstellbar, unter welchen Bedingungen Menschen existieren können. Einige Ihrer fast apokalyptischen Fotos bringen das zum Ausdruck. Bei laufend steigendem Energiebedarf der Menschheit werden derzeit weltweit Kernkraftwerke geplant und gebaut, selbst in Japan. Auch wegen der ungelösten Entsorgungsproblematik hat das langfristige Auswirkungen und die Möglichkeit eines Super-GAU besteht immer. Letzte Sicherheit gibt es nicht. Vielen Dank für Ihren eindrücklichen Bericht und die starken Fotos.
Grüße,
M. Guggolz
Vielen Dank für dieses Kommentar.
Sehr geehrter Herr Stürz, ich habe mich sehr über das Interview mit Ihnen und den Abdruck Ihrer Bilder in „fotowissen“ gefreut. Vor einigen Wochen war ich bereits über ihre beeindruckenden Fotos im Rahmen der Doppelausstellung in Nürnberg Langwasser mehr oder weniger zufällig „gestolpert“, als ich nach dem Bericht von Herrn Trampendach (ebenfalls in „fotowissen“) die andere, ebenfalls hervorragende Fotoausstellung „Bangkok 24/7“ besuchte.
Ihre fotografisch ausgezeichneten Fotos zeigen auf beeindruckende Weise die nahezu entvölkerte Welt- das, was nach der Zerstörung übrig bleibt und andererseits die Vitalität der Natur. Wie alle guten Bilder regen sie zum Nachdenken und zum Sich-Einlassen auf eigene innere Bilder und Ängste an. Noch einmal herzlichen Dank Ihr Claus-Christian Günther
Sehr beeindruckende Bilder, danke!
Die Bilder sprechen für sich selbst.
Da Herr Stürz in seinem Text „Stalker“ nennt möchte ich nur ein paar Informationen zu diesem Buch und zur Bildsprache des Filmemachers Andrej Tarkowskij, der einen gleichnamigen Film gedreht hat, ergänzen.
Die Erzählung von Arkadi und Boris Strugatzki hieß im Original „Picknick na obotschine“ (Aurora, Leningrad 1972), folgerichtig hieß die deutsche Übersetzung „Picknick am Wegesrand“ (Suhrkamp Taschenbuch 670, 1981). Das ergibt auch Sinn, weil das Prinzip bzw. die Entstehung der „Zone“ in der Erzählung selbst anhand eines Picknick-Beispiels erläutert wird.
Warum die neue Übersetzung nun „Stalker“ heißt kann ich mir nur so erklären, dass möglicherweise der relative Bekanntheitsgrad des Films „Stalker“ (UDSSR 1978/79) von Andrej Tarkowskij bzw. des Videospiels (das ich nicht kenne) genutzt werden sollte. Das Titelbild der neuen Übersetzung ziert jedenfalls eine Einstellung aus Tarkowskijs Film. Warum es früher eine Erzählung war und nun ein Roman sein soll entzieht sich ebenfalls meiner Kenntnis.
Das Drehbuch zu Tarkowskijs Films wurde von Arkadi und Boris Strugatzki unter Zugrundelegung einzelner Motive ihrer Erzählung verfasst, es ist also keine direkte Verfilmung des Buches.
Von großem Interesse für uns Fotografen sollte Tarkowskijs Bildsprache sein. Viele Einstellungen wurden mit „fotografischem Blick“ gedreht, die Bildkompositionen sind durchgehend hervorragend. Das gilt für alle Tarkowskij-Filme. Ich kann nur empfehlen, sich die Filme aufmerksam anzusehen, viele hat er ja nicht gedreht:
Iwans Kindheit, 1962
Andrej Rubljow, 1964-66
Solaris, 1971/72
Serkalo/Der Spiegel, 1973/74
Stalker, 1978/79
Nostalghia, 1982/83
Das Opfer, 1985/86
Liebe Grüße
Tolle Bilder eines lost place.
Habe die Seite an andere Fotofreunde weitergeleitet.
Danke !