Gleich zu Beginn: Ich bin Fujifilm X-Photographer. Und Fujifilm schenkt mir dafür keine Kameras oder Objektive. Aber hin und wieder kann ich mir Geräte ausleihen, um sie zu testen oder sie für Projekte oder Aufträge einzusetzen. Ich mag Fujifilm sehr, die Qualität des Equipments, das Handling, den Look und das Preis-Leistungs-Verhältnis. Aber ich bin kein Fan-Boy. No-Body is perfect. Das trifft auch für Kamerabodies und Objektive zu. Wenn Kritik angebracht ist, kritisiere ich.
Inhaltsverzeichnis
Mittelformat
In analogen Zeiten habe ich sehr gerne mit den Mittelformatkameras von Rollei und Mamiya (6008 bzw. RB67) fotografiert. Der große Vorteil war für mich neben der wesentlich besseren Bildqualität die Entschleunigung, die damit einher ging: Stativ, sorgfältiges Scharfstellen, Bildbeurteilung. Bei Portraitjobs erstmal ein Polaroid machen, warten, bis es entwickelt ist, schauen, noch ein Polaroid, dann die Fotos. Dem/der Fotografierten die Aufregung nehmen, Ruhe in den Set bringen. Dann drei bis sechs Filme belichten, also um die 60 Fotos. Der Kunde schaute schließlich auch damals schon auf´ s Geld.
GFX 50S + GF45mm, 1/280 s Bl 7,1 ISO 400
Entschleunigung
Seit der Erfindung der Digitalfotografie, ist es mit der Entschleunigung vorbei. Hunderte oder tausende Fotos ohne Kartenwechsel. Und das ohne Film-, Entwicklungs-, Print- oder Scankosten.
Seit Jahren liegen meine Mittelformat-Kameras nun ungenutzt in Koffern, die Filme im Tiefkühlfach. Schaue ich mir die Mittelformat-Fotos von damals an, sehe ich in ihren eine gestalterische Qualität, die ich manchmal in den Fotos von heute vermisse. Eine schärfere Genauigkeit des Blickes etwa, eine überlegtere Komposition. Das wesentlich größere Sucherbild erlaubte eben auch genaueres Hingucken. Kein Wunder, dass die Analog-Fotografie in den letzten Jahren eine gewisse Renaissance erlebt.
Slow-Photography mit der Fujifilm GFX 50S
Für zwei Aufträge lieh ich mir also nun also eine Fujifilm GFX 50S mit dem 2,8/45mm und 2,8/63mm Objektiv aus, zwei Jobs, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Ein Auftrag vom Greenpeace Magazin über Waldretter und ein Job von Mercedes Classic Magazin über den Unimog Oldtimer. Ausserdem nahm ich mein X-Equipment mit, bestehend aus X-H1 und X-T4 Bodies und den Objektiven 1,4/16mm, 2/23mm, 2/35mm und 1,2/56mm. Dazu noch eine DJI Mavic 2 Pro Drohne und Akkublitze von Godox. Bevor es aber losging, musste ich die GFX auf Herz und Nieren testen. Kamera auspacken und los fotografieren, das geht so nicht. Mit der GFX 50S aber irgendwie schon. Handling und Menü sind fast identisch mit der X-H1, die ich auch schon hatte. Alles erfreulich kompakt und handlich. Der Autofokus im Vergleich zur X-T4 ziemlich langsam – aber, wie sonst soll Entschleunigung funktionieren? Sehr schnell liessen sich im Menü die Parameter ein, mit denen ich immer arbeite, z.B. RAW und JPG, Backup auf zwei Speicherkarten usw. Auch in diesem Sinne stellte sich schnell Vertrautheit ein.
Das ursprüngliche Konzept für diese Jobs sah vor, hauptsächlich mit dem X-System zu fotografieren, inszenierte Situationen und Portraits aber zusätzlich mit der GFX 50S, um einen direkten Vergleich zu haben. Dabei ertappte ich mich jedoch, die GFX nicht mehr aus der Hand legen zu wollen: Der gute Grip der Kamera, das grosse Sucherbild, die relative Schnelligkeit des Systems, die Vertrautheit der Bedienung. Kannte ich schon von der X-H1. Also entfernte ich den EVF Sucher vom Body. Somit konnte ich das Motiv nur noch über den LED Screen beurteilen. Autofokus aus. Stativ und Fernauslöser dran. Entschleunigung auf die harte Tour! Und endlich war ich dran am Mittelformat-Feeling. Nur, anders als früher, als die MF Kameras nicht schneller konnten, hier mit dem Bewusstsein, einen bewusst kasteienden Schritt zu gehen. Noch konsequenter wäre dann auch der Einsatz meines externen 7 Zoll Monitors und des Bluetooth Fujifilm Instax Printers gewesen. Grösserer Sucher + manuelle Scharfstellung + Polaroid-Ersatz = maximale Langsamkeit. Diesen letzten Schritt bin ich dann doch nicht gegangen.
X-H1 + 2,8/16mm, 1/220 s Bl 4,5 ISO 400
Entschleunigung geht aber nicht nur einher mit dem verwendeten Equipment, sondern geschieht auch im Kopf. Die Digitalfotografie verführt zum schnellen Arbeiten. Schnell die Perspektive wechseln. Anderer Ausschnitt, neue Brennweite: All diese Arbeitsschritte sind eingebrannt in professionelle standardisierte Abläufe. Dazu immer weniger Zeit während der Shootings: 5 Minuten für ein Portrait sind da keine Seltenheit. Zum Glück gab es letzteres Problem bei diesen beiden Jobs nicht. Aber das Umdenken fiel schwer. Nicht mehr schnell-schnell! Das hat mit der GFX 50S und meinem Setup gut funktioniert. Aber ein andere schwerwiegende Komplikation sollte sich ergeben:
GFX 50S + GF 63mm, 1/240 s Bl 2,8 ISO 640
In journalistischen Situationen arbeite ich fast immer mit dem elektronischen, geräuschlosen Auslöser. Um weniger aufzufallen und zu stören. Auch an der GFX 50S stellte ich den Shutter so ein. Ein Fehler: Die Kamera hat leider einen extremen Rolling-Shutter Effekt. Dieser entsteht, weil der Sensor während der Belichtung streifenweise gescannt und anscheinend extrem langsam abgefahren wird. Gibt es also Bewegung im Bild und sei sie auch noch so gering ( sogar leichtes Wackeln der Kamera), kommt es zu mehr oder weniger starken Verzerrungen im Foto. Das folgende Bild fotografierte ich in einer Kolonne, selbst stand ich auf der Zubehörachse eines langsam fahrenden Treckers, die Kamera hielt ich bei der Auslösung so ruhig wie möglich und belichtete mit einer 1/950 Sekunde: Solche Verzerrrungen lassen sich nicht mehr korrigieren.
sehr schräg: GFX 50S 63mm 1/950 sek, Bl 4,0
Und, welche Fotos waren am Ende besser? Die beiden Aufmacher im Greenpeace Magazin und Mercedes Classic Magazin wurden jedenfalls mit der GFX 50S fotografiert. Das gibt mir dann schon zu denken…
Greenpeace Magazin
Greenpeace Magazin
Mercedes Classic Magazin 2/2020
Mercedes Classic Magazin 2/2020
Fazit Slow-Photography mit der Fujifilm GFX 50S
Kaufe ich mir nun eine GFX? Und, falls ja: welche? Die GFX-50R (obwohl selber nicht getestet) erscheint mir sinnvoller, sie kostet trotz gleichem Sensor fast 2.000 Euro weniger. Und statt der beiden getesteten Objektive würde mir dann auch wohl das 3,5/50mm reichen. Also noch mehr Reduktion auf das Wesentliche.
Die Antwort ist: Jein. Irgendwie war mir die GFX 50S immer noch zu schnell. Was eigentlich positiv ist, denn deshalb eignet sie sich für viele, auch schnelle Situationen (mit mechanisch eingestelltem Verschluss!). Aber für eine journalistische Fotografie, die ihre Verwertung im Magazin findet, ist ihre Bildqualität, sagen wir mal, etwas überqualifiziert. Andererseits hat sie halt auch grosse Ausschnittsreserven, einen herausragenden Dynamikumfang und all die Bells und Whistles, die eine MF Kamera so mitbringt. Allerdings auch zu einem Preis. Dazu neue Objektive, Akkus und Zubehör möchten ja auch gekauft werden. Und in wirtschaftlich harten Zeiten stellt sich für einen Profi auch immer die Frage, wie und wann sich Technik amortisiert. Ich habe meine Leihausrüstung jedenfalls nur sehr sehr ungerne wieder zurück an Fujifilm geschickt…
Aber abwarten, das neue Jahr hat ja gerade erst begonnen :-))
© David Klammer – Slow-Photography mit der Fujifilm GFX 50S
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Sehr geehrter Herr Klammer,
vielen Dank für diesen sehr kurzweilig geschriebenen interessanten Befund, der neben eindrucksvollen Bildern auch gleich einen kleinen Einblick in die Arbeit eines Berufsfotografens ermöglicht. Die Baumfotos sind ja in erstaunlicher Höhe entstanden- wo da wohl der Fotograf hing? :-) Gibt es Bilder vom Set?
Danke auch für die praxisrelevante Analyse der GFX.
Liebe Grüße
Frank Seeber
Hallo Herr Klammer,
ein lieb gemeinter, wohldosierter kleiner Funken “Neid” kommt schon auf, wenn ich diese wunderbare Aktion sehe, und eben auch die Protagonisten. Einfach klasse!
Zum Thema slow photography möchte ich gerne noch sagen, dass ich dieses Sehnen ins Retro hinein, verbunden mit dem Gebrauch der entsprechend langsamen Technik super nachvollziehen kann. Im Grunde spielt das alles auch in die heute so en vogue gewordene Achtsamkeit hinein, mit der vielleicht mühsam Grundwerte, Gewohnheiten und Verhaltensweisen wieder dorthin gerückt werden, wo das Tempo zum Erleben passt. Mir gefällt dieser Trend, der ja eher einem Grundbedürfnis entspricht, ungemein gut.
Vielen herzlichen Dank für den hochinteressanten Beitrag!
Freundliche Grüße, Dirk Trampedach
Hallo Herr Klammer,
jede Zeile Ihrer Ausführungen brachte ein Lächeln in mein Gesicht. Nur zu gut konnte ich Ihren Beschreibungen folgen und stimme ihrem Fazit im Wesentlichen zu.
Ich werde mir in diesem Jahr eine GFX 50 kaufen, allerdings eine “S”, denn hier habe ich insbesondere das Handling betreffend, alles, was ich an meiner X-T2 so liebe, jedoch per optionalen Winkel für den Sucher eine zusätzliche, insbesondere als People-Fotograf, Handhabung gewinne, die mich eine Person weniger “ins Visier nehmen” lässt. Ich habe bereits in analogen Zeiten, bemerkt, dass sich die Porträtierten etwas gelöster geben, so ich mit einem Schacht oder Winkelsucher arbeitete.
Leider wird es keine 50er mit IBIS geben, aber das lässt sich per Entschleunigung sehr gut ausgleichen. Ich weiß noch wie ich von meiner Fuji S Pro 5 (6 bzw. 12 MP) kommend, auf eine Nikon D800 umstieg und erst bei Durchsicht der Bilder am PC erkennen musste, dass 36 MP eine schludrige Kamerahaltung bestrafen.
Dennoch wird es einen Preisrutsch für die Mittelformatbodys geben, wenn die neue “GFX 100S”, für um die € 8 000,-, manche sprechen gar von $ 6.600,-, kommt. Eine Gebrauchte über einen Händler wird zusätzlich Geld sparen helfen, was ich lieber in gutes Glas etc. investiere. Das 110er ist für mich Pflicht und dann noch ein 63er oder 45er, Tendenz 45 mm; irgendwann noch das 120er Makro, aber das eher aus Leidenschaft.
Ichbedanke mich für Ihren sehr kurzweiligen Bericht und wünsche weiterhin Gut Licht!
Mark Kant