Neulich, als ich über die Straße lief, sah ich einen Oldtimer. Ein Opel Kapitän. Ein absolutes Schmuckstück. Aus den 60 er Jahren. Rock´n Roll und Petticoats. Erinnern Sie sich noch wie ich? Mein erster Gedanke war: Den Wagen muss ich fotografieren. Leider ist mir mein erstes Foto von dem Opel Kapitän aus der Totalen nicht gelungen. Das Bild gab nicht mein Gefühl des fahrenden Wagens mit blauem Dunst auf leeren Straßen wieder. Dann wurde mir klar, dass ich anders an die Sache rangehen muss. Mein *fotowissen Rezept möchte ich Ihnen erläutern und es Ihnen ans Herz legen: Nah ran ans Motiv! Eine Lösung für fast alle schwierigen Foto-Situationen:
In der Totalen wirkt der Opel Kapitän nicht wie Rock´n Roll und Petticoat.
Schönheitsprobleme in der Fotografie sind lösbar.
Wie Ihre Fotografien noch besser wirken.
Die Totale ist oft keine Lösung.
Inhaltsverzeichnis
Details sprechen lassen
Vielleicht, so denke ich, geht da mehr, wenn ich näher rangehe. Zunächst betrachtete ich den Kühler des Oldtimers und näherte mich mit meiner Kamera. Möglichst nah ran ans Motiv, so hatte mir einmal einer meiner Fotolehrer gesagt. Ein fotografisch erfahrener Mann, der mir später geraten hatte, mich mit der Fotografie selbstständig zu machen. Er selbst hatte früher mit seiner Hasselblad unter Tage im Auftrag fotografiert und mir erklärt, wie man einen dunklen Schacht komplett ausleuchtet. An die Worte des netten Fotografen erinnerte ich mich, als ich mich vor den Kühler hockte. Denn sein Rat war jetzt goldrichtig.
Die Perspektive
Nah ran heißt, dass ich Motive vorwiegend aus der Perspektive der Dinge und Lebewesen schieße. Hunde und Katzen, Tiere, fotografiere ich immer in deren Lebenshöhe. Genauso muss man für Kinderfotos beweglich sein und aus Höhe der Kinder fotografieren. Hier war es der Opel-Kühlergrill, für den ich auf die Knie ging. Nicht, um dem Opel Kapitän einen Heiratsantrag zu machen. Sondern um das Auto aus einer interessanten Perspektive zu belichten. Mein *fotowissen-Rezept für Sie:
Fotografieren Sie nur selten aus der Augenhöhe. Gehen Sie oft in die Knie oder fotografieren Sie aus der Perspektive der Dinge und Lebewesen.
Der Kühlergrill des Opel Kapitän bringt uns das ganze Auto besser vor das geistige Auge.
Mindestens 10 Fotos
In meinen Lehrjahren habe ich gelernt, nicht einfach nur stehenzubleiben und zu knipsen. Das Fotografieren beginnt dort, wo ich mich mit einem Motiv auseinandersetze. Daher sage ich oft zu meinen Fotokurs-Teilnehmern: „Machen Sie 10 ganz unterschiedliche Fotos von dem Motiv.“. Mit dieser Aufgabe fängt das Fotografieren an. Ich muss mich um das Motiv herum bewegen, es auch allen möglichen verschiedenen Perspektiven anschauen, kreativ werden und mit den Möglichkeiten der gestaltenden Fotografie arbeiten. Mein *fotowissen-Rezept für Sie:
Der Unterschied zwischen Knipsen und Fotografieren sind 10 oder mehr Fotos pro Motiv.
Die gestalterischen Möglichkeiten
Zu meinen Möglichkeiten der fotografischen Gestaltung gehört nicht nur die Perspektive, sondern auch die Brennweite meiner Kamera. Mit einem Weitwinkelobjektiv wirkt mein Motiv anders, als wenn ich es mit einem Teleobjektiv ablichte. Ich kann den Vordergrund oder den Hintergrund scharf stellen, um damit den Blick des Betrachters auf das Wesentliche im Motiv zu lenken. Oder ich fotografiere mit einem Zusammenhang. In diesem Falle könnte ich den Blinker hinten an der Türe mit dem Lenkrad in Verbindung bringen. Es gibt so viele Möglichkeiten, dass ich für ein Motiv wirklich lange verweile. Es ist jedes Mal eine Herausforderung meines Könnens und ich bin fasziniert von der Anstrengung, die eine 20 minütige-Fotosession verursachen kann. Da heißt es hinterher gut durchatmen und schon während der Aufnahmen achte ich auf gute Bauchatmung, um locker zu bleiben und nicht zu verwackeln.
Perspektive und Nähe bringen plötzlich das Auge des Oldtimers hervor.
Nah ran ans Motiv
Die wohl wichtigste Regel aber lautet: Nah ran ans Motiv. Im Kleinen das Große sehen. Ich fotografierte auch jetzt die Details, den Kühler, den Blinker, das Lenkrad. Alle diese Fotos waren schöner als das erste Bild vom gesamten Auto aus der Totalen. Dafür muss ich die Kamera in meinen Händen im Schlaf bedienen können. Wenn ich erst über die Technik der Kamera nachdenke, dann kann ich mich nicht vollständig dem Motiv widmen. Ich muss eins werden mit der Kamera, mit dem Objektiv, mit dem Wählen der Blende und der Schärfentiefe. Mein *fotowissen-Rezept für Sie:
Die Technik der Kamera ist nur eine Frage der Übung.
Opel Kapitän – Das Logo im Zusammenhang fotografieren.
Im Kleinen das Große fotografieren
Wieso ist das so, dass wir in dem Detail des Blinkers den gesamten Opel Kapitän besser sehen? Es ist doch wohl so: Wenn ich den gesamten Magnolienbaum fotografiere, dann wirkt das nicht so überzeugend, wie ein paar einzelne Blüten im Bild. Ich kann die Schönheit des Baums nicht in der Totalen wiedergeben. Um der Blüte gerecht zu werden, benötige ich keine tolle Kamera, kein Smartphone mit 40 Megapixeln. Ich muss nah ran und mir die Blüten vornehmen. Der Kopf setzt aus der einen in Szene gesetzten Magnolienblüte die ganze Pracht des Baums zusammen. Mein *fotowissen-Rezept für Sie:
Nah ran ans Motiv.
So geht es mir auch, als ich durch das Fenster auf das Lenkrad des Oldtimers schaue. Ich kann mit dem Lenkrad und den Armaturen den Wagen besser in Szene setzen. Die Spiegelung der Seitenscheibe macht meine Aufnahme gleich noch authentischer. Plötzlich beginne ich als Fotograf eine Geschichte zu erzählen. Es ist die Geschichte von dem alten Opel Kapitän, der immer noch existiert. Von einem Auto, dass mit viel blauem Qualm über die leeren Straßen fuhr und immer Vorfahrt hatte. Das Auto, das vielleicht schon den Gardasee sah und seine Familie immer heil nach Hause brachte.
Durch die Spiegelung in der Scheibe sehen wir das Lenkrad und die Armatur.
Was passiert in uns, wenn wir ein Poster oder eine Collage an die Wand hängen? Das Bild spricht uns an. Es sagt uns: Da ist ein wunderschönes altes Auto. Wir denken beim Anblick des Lenkers an die guten alten Zeiten, die leeren Straßen. Den Rock ’n’ Roll. Das Tanzen im Petticoat und Anzug. Der Anblick der alten Gummidichtung am Blinker berührt uns, löst Emotionen aus. Uns wird klar, wie wertvoll dieser Anblick ist, wir sind ganz bei dem Auto und der Fotografie. Wir transportieren als Fotografen Gefühle. Wir können den Blick lenken auf das, was uns im Bild wichtig erscheint. Auf das Lenkrad, den Blinker, den Kühlergrill. Mein *fotowissen-Rezept für Sie:
Hängen Sie Ihre Bilder an die Wand. Dann erst werden diese Fotos eine Geschichte erzählen.
Der Blinker seitlich hinten zeigt das ganze Auto.
Die Künstlerische Sprache der Fotografie
Bei der Auseinandersetzung mit dem Motiv entsteht die künstlerische Sprache der Fotografie. Jeder Fotograf hat seine eigene Sprache, seinen eigenen Dialekt. Jeder fotografiert anders. Ich habe eine andere Fotosprache als Sie, drücke mich anders aus. Wenn Sie mit der Kamera eins sind und die Tipps in diesem Beitrag beherzigen, dann können Sie bei jedem Motiv Ihre eigene fotografische Sprache formen und entdecken. Bitte senden Sie mir Ihre Fotos als Bild der Woche oder zeigen mir Ihre Bilder auf dem Rechner oder als Abzug!
Diese Bilder wurden mit der Nik Collection „Analog Efex“ bearbeitet. Meine Kamera an diesem Tag war die Sony RX100 V (spielt für das Ergebnis kaum eine Rolle).
*fotowissen-Rezept zum Ausdrucken für das Portemonnaie:
*fotowissen-Rezept „Nah Ran ans Motiv“ als PDF. Tipp: Drucken Sie auf schwerem Papier. Der Artikel ist meinem Freund Artur und meiner Schreiblehrerin Kira Crome gewidmet.
Der Beitrag wurde zuerst im März 2020 publiziert und im September 2022 für Sie überarbeitet.
© Peter Roskothen ist Profi-Fotograf, Fototrainer, Fotojournalist – Nah ran ans Motiv
In eigener Sache (Werbung für den besten Foto-Fernkurs seit es das Internet gibt):
Individueller Fernkurs Fotografie
Sie erhalten von mir eine fotografische Aufgabe. Dann verabreden wir uns telefonisch für einen Zeitpunkt und telefonieren miteinander. Über das Internet können wir mit einer kostenlosen Software auf Ihrem Rechner Ihre Aufnahmen sehen. Wir besprechen diese Aufnahmen und vielleicht auch einige weitere Bilder zu anderen Themen. Dabei bekommen Sie einen guten Blick für das fotografische Sehen, den richtigen Ausschnitt und wissen schnell, wie Bilder wirken. Wir können Ausschnitte wählen, Varianten Ihrer Fotos erstellen, die alle eine andere Wirkung bekommen. Sie lernen dabei die Bildgestaltung und wenn Sie möchten auch gleich die Bildbearbeitung mit Lightroom, Capture One oder Luminar. Schneller und schöner können Sie Ihre Fotografie nicht erweitern. Und das macht nicht nur Spaß, sondern Sie sind auch im Mittelpunkt, dürfen alle Ihre Fragen stellen:
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Moin Peter,
ja, ein ganz lecker Wägelchen, der Kapitän, und wirklich klasse deine Tipps! Das ist eine schöne, hoch interessante Samstagmorgen-Lektüre, herzlichen Dank dafür! Ich bin ja seit Jahren mit Kamera in dem Thema automobile Klassiker tätig, und habe mich gerade daher sehr gefreut, einen großen Teil deiner Tipps und Tricks lesen zu dürfen, die mir auch anzuwenden wichtig erscheinen. Gerade eben auch der Blick ins Detail birgt ja bei den Klassikern unglaublich viel Möglichkeiten.
Sonnige Grüße,
Dirk
Nah und näher plus Persektivwechsel
Pass auf Dich auf und bleibe gesund.
LG Bernhard
Danke Euch! Der Blinker ist übrigens ein Parklicht, das hat mir ein treuer Leser verraten.