Anmerkung der Redaktion, Peter R.: “Meine Jahre mit der Fotografie” ist ein Gastartikel von Roland Gosebruch, der mir zum Beitrag “Ist das Mittelformat besser?” diese charmante private eMail sandte. Ich habe ihn daraufhin gebeten, mir noch ein paar Fotos zu senden und vorgeschlagen, die Mail als Beitrag zu veröffentlichen, weil ich sie so gelungen und interessant finde. Vorausgegangen war der Hinweis von Herrn Gosebruch, sich mal einen englischsprachigen Videobeitrag zur Produktfotografie anzusehen:
Lieber Herr Roskothen, herzlichen Dank für Ihre Nachricht. Ich schickte Ihnen seinerzeit den Phase One Link, weil er mich umgehauen hat und mir offenbarte, nach welch irrem Aufwand z.T. Produktfotos und dgl. entstehen.
Ihren Bericht “Ist das Mittelformat besser?” habe ich mit Freuden gelesen, wie alles, was in fotowissen.eu veröffentlicht wird, von manch Software bezogenen Fachartikeln mal abgesehen. Thema Phase One wurde ja erwähnt. Ich persönlich kann viele der in Ihrem Bericht – da steckt ja auch ein gewaltiger zeitlicher und fachlicher Aufwand drin – getroffenen Aussagen nur voll bestätigen, weil ich über mehr als 60 Jahre meines Lebens als Foto-Amateur dies miterlebte und unzählige Erfahrungen sammeln durfte.
Es begann für mich im Jahr 1959, 17 Jahre alt. Die Sommerferien durfte ich in London verbringen. Vom mir mitgegebenen Taschengeld erwarb ich eine Agfa Silette und 2 S/W Filme. Für mehr reichte es nicht. Das ist nun mehr als 60 Jahre her.
Meine Jahre mit der Fotografie
Einige Highlights dieser Jahre waren:
- Dunkelkammer Erfahrung ab 1959. Zum Glück verfügte das Internat im Schwarzwald über eine solche Einrichtung. So konnte ich per „try and error“ die Prozesse erlernen und meine London Bilder entwickeln und vergrößern, in schwarz/weiß (S/W). Ich hatte Feuer gefangen. Jahre später traute ich mich an die Farbprozesse für Dias wie auch Negative. Als es beruflich bergauf ging, hatten wir dann mal ein eigenes Haus. Sie erraten es: mit eigener Dunkelkammer. Dies ging so bis nach der Jahrtausendwende. Die damalige Chemie verursachte Hautschäden bis heute.
- Kameras waren: Agfa Silette (habe ich aus nostalgischen Gründen bis heute), Leica M3 mit diversen Objektiven, mehrere Canon Kameras, z.B. auch die A1, Asahi Pentax (damals super), Canon 50E mit Augensensor im Sucher und manch andere. Es war nur eine Frage der Zeit, im Mittelformat (MF) zu landen. Die erste Herausforderung war eine Voigtländer 6×9 mit Glasplatten „Film“. Ein klasse Erlebnis, wie sanft die Grautöne in der Vergrößerung kamen. Die besten Erinnerungen verbinden sich mit der Mamiya 645. Die war noch recht handlich, mit fabelhafter Optik. 2 Rolleis kamen noch ins Spiel und schließlich noch 2 Hasselblads, weil jeder von den Optiken schwärmte. Die Hasselblads wurden nicht meine Freunde. Entweder hatte ich ein Minidetail beim Fotografieren übersehen oder falsch eingestellt – Kamera löste nicht aus. Oder war es der Lichteinfall, weil die Kassetten undicht waren. Ergebnis: Wunderschöne Bilder vom Urlaub am Atlantik in Frankreich wurden unbrauchbar, und, und, und. Natürlich erst sichtbar, als wir wieder zu Hause waren. OK, sagte ich mir, lass die Profis damit glücklich werden. Klar, Haptik und Fertigungsqualität der Top-Produkte waren und sind schon etwas zum Schwärmen. Man liebte die Geräte, bewunderte die filigrane Technik. Unübertroffen der Auslöser der Leica M3.
- Schließlich startete ich 2002 ins digitale Zeitalter mit einer Canon Powershot G3, ein tolles Gerät damals. Keine Filme mehr, super. Karte auslesen am PC und schon ist das Bild da. Was für ein Unterschied. Es kamen immer mehr Kameras in den Schrank, bis ich schließlich nach der Nikon D300 bei der Nikon D800E landete. Als mir diese zu schwer wurde, mit all diesen Glasbrocken von Objektiven, machte ich mit den Profikameras Schluss, um bei Fuji zu landen. Mit der X-H1, X-T2 und einer auf Infrarot umgebauten X-A2 bin ich momentan recht happy.
- Als Banklehrling nach dem Abitur durfte ich gegen Schluss der Lehre auf meinen dringenden Wunsch in deren Werbeabteilung, weil mir bekannt war, dort wird viel fotografiert. Nicht nur das. Dort lernte ich auch meine spätere Frau kennen. Das Glück hält bis heute, schon länger als 55 Jahre.
Dunkelkammer
Zurück zur Fotografie: Mithilfe bei der fotografischen Produktion des Bank Geschäftsberichts sowie Mitarbeit als „Fotogehilfe“ des Hausfotografen am Buch „Geschichte der Stadt Stuttgart“, Autor: Prof. Decker-Hauff. Bei dieser Tätigkeit durfte ich erfahren, wie professionelle Vergrößerungen in der Dunkelkammer entstehen, die dann akribisch mit der Lupe betrachtet werden und schließlich nach der 25. Version das OK zur Veröffentlichung erhalten. Mann, was war ich stolz damals, Teil der Action sein zu dürfen. Fotografiert haben wir mit einer Plaubel 9×12 cm Plattenkamera, inkl. schwarzem Tuch über dem Kopf und Wasserwaage am Gerät….
Unser ältester Sohn lebt mit seiner Familie in Chicago, Ill. USA. Wir sehen ihn und die Familie regelmäßig. Bei einem der Aufenthalte dort besuchte ich das Museum of Contemporary Photography, Chicago. Im Verlauf kam eine Gruppe von Studenten mit ihrem Prof. vorbei. Dieser sprach zu ihnen über die analoge Fotografie: Filme einlegen, Entwicklungsprozesse, Labor, Warten auf die Ergebnisse, Blitzlichtfotografie, Leitzahl….). Staunende Augen, offene Münder. Die hatten nicht den blassen Schimmer, wovon der Mann sprach. Im November vergangenen Jahres plauderten wir in der Sonne mit einem Einheimischen. Er sah meine Fuji X-H1, schaute mich an und sagte „Oh, what an old fashion camera you have!“. Ich lachte und sang ein wenig das Loblied auf die Kamera.
Wo auch immer Sie heute sich aufhalten: die Handys haben mit ihren tollen Bild Prozessoren und den mittlerweile brauchbaren Bildern den Foto Markt für sich eingenommen – weltweit.
Die analoge Fotografie
Und das bringt mich wieder zurück zum Artikel. Für die heutige Generation bis ca. Alter 40 ist das Thema analoge Fotografie oft Niemandsland. OK, vielleicht hat man mal davon gehört. Aber anwenden? No way. Das ist genauso, wie in NYC am 9/11 Memorial. Die beiden riesigen quadratischen „foot prints“ der WTC-Towers (World Trade Center) sind mit einer Edelstahl Borte rundum verziert, mit den eingravierten Namen der Todesopfer dieses furchtbaren Terror Akts. Schulklassen mit Kindern kommen, sehen, lachen – verstehen aber nicht, was sie sehen. Es ist, wenn überhaupt, Geschichte. Alles so erlebt.
Für den Stressgeplagten mag die analoge Fotografie eine Chance zur Entschleunigung bieten, die Konzentration auf den Prozess, die Bildgestaltung, egal ob in Kleinbild oder in Mittelformat. Ich nenne es Therapie. M.E. gibt es heute so gut wie nichts, wo ich analoges Gerät dem digitalen überlegen sehe. Im Gegenteil, die digitale Technik gibt uns heute Dinge an die Hand, die in analoger Zeit undenkbar waren. Nehmen Sie mal die Serienbildfotografie, Fotostacking, Filmsimulation und mehr, von der digitalen Bildverarbeitung / Bearbeitung ganz zu schweigen. Aber sicher, es gibt eine Marktnische für das analoge Erlebnis. Und das ist auch gut so. Bleibt nur die Frage, wer der Markt ist und ob es gelingt, auch Teile der jüngeren Generation zu erreichen. Man darf gespannt sein. Doch kommt es wirklich darauf an, ob man nun digital oder analog das schönste Hobby der Welt betreibt? Nein! Der Weg ist das Ziel, die Freude an der Fotografie – zumindest für den Amateur.
Sorry, weil dies etwas lang wurde. Aber ich wollte ein wenig tiefer bohren.
Herzliche Grüße,
Ihr Roland Gosebruch
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© Roland Gosebruch – Meine Jahre mit der Fotografie
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