Inhaltsverzeichnis
Foto-Duell auf der Museum Insel Hombroich
Kleine Fluchten
Einmal sollte man… So beginnt ein Gedicht von Mascha Kaleko, das wunderbar in diese merkwürdige Zeit passt. „Einmal sollte man seine Siebensachen fortrollen aus diesen glatten Gleisen. Man müsste sich aus dem Staube machen und früh am Morgen unbekannt verreisen. Man sollte nicht mehr pünktlich wie bisher um acht Uhr zehn den Omnibus besteigen. Man müsste sich zu Baum und Gräsern neigen, als ob das immer so gewesen wär.“ Sich nie mehr mit Konferenzen, Prozenten oder Aktenstaub befassen, schreibt sie weiter. Man müsste Haus und Büro verlassen – „und eines schönen Tags das Leben schwänzen.“
Eine verlockende Idee, oder nicht? Ich erinnere mich an Peters Bericht übers Meditieren beim Fotografieren und denke mir: Das ist es! Eine kleine Flucht ins Grüne, an einen magischen Ort, der zur Motivsuche inspiriert. Und: Was liegt näher, als Peter dazu zum Foto-Duell aufzufordern?
Auszeit auf der Museum Insel Hombroich
Gedacht, getan. Das Ziel unserer kleinen Flucht aus Büro und Studio ist die Museum Insel Hombroich. Eingebettet in eine malerische Auenlandschaft, stößt man beim Spaziergang über das weitläufige Gelände, das der Landschaftsplaner Bernhart Korte entworfen hat, auf einen magischen Ort nach dem anderen. Mal ein Gebäude, mal eine Skulptur. Jeder Ort hat seinen eigenen Zauber; manche verwunschen inmitten von wildem Grün, manche bestechend durch ihren scharfen Gegensatz von Natur und Architektur.
Die Genehmigung in der Tasche und die Stative auf der Schulter ist das Leitthema fürs Fotografieren schnell gefunden. Passend zu unserem Ausbruch aus der Alltagshektik widmen wir uns: Perspektiven.
Für mich als Fotogreenhorn wird schnell klar: Das was ich sehe, mit den Augen eines Fotografen zu lesen, ist kein Leichtes. Schon bei der ersten Fotolocation komme ich an meine Grenzen. Die Linien stürzen. Ich behelfe mir mit einer Anfängerlösung: Näher rangehen.
Perspektivänderung
Drinnen im Gebäude komme ich damit aber nicht weiter. Ich beherzige Peters Rat, einmal meine eigene Perspektive zu verändern. Unser Blickwinkel verändert die Beziehungen zwischen den Elementen im Bild. Ich lege mich also auf den Boden und blicke an die Decke. Der neue Blickwinkel verändert, wie die Linien im Bild verlaufen und wie dynamisch diese Linien wirken. Von unten nach oben geschaut, ergeben sich ganz neue Varianten.
Nicht alles, was wir unterwegs sehen, ist ein spannendes Foto. Vieles, was ich versuche, wirkt am Ende nicht. Ich verstehe nun: Wir sehen unsere Welt dreidimensional. Auf dem flachen Foto wird sie in eine Ebene gepresst und das Bild ist nur dann gelungen, wenn es gelingt, die Linien, Schattierungen und Räume darin in einem Verhältnis zu einander stehen zu lassen. Ich erinnere mich an meinen Kunstunterricht, früher in der Schule. Da ging es um Fluchtpunkte und die Linien, die dahinführen. Und wie Kreise dadurch als Ovale erscheinen, Quadrate zu Rhomben werden. Ich lerne: Wenn ich durch den Sucher blicke und mich mit der Kamera bewege, ändere ich meine Position zum Fluchtpunkt damit das Verhältnis zu allen anderen Elementen im Bild. Dadurch verändern sich die Beziehungen zwischen den Elementen im Bild. Macht man es richtig, wird es ein Foto, das den Betrachter bannt und etwas von Spannung wiedergibt, die ich mit meinen Augen sehe. Bei allem Versuchen: Mir gelingt es heute Nachmittag nicht immer.
Urwald
Wir werden von einem Regenschauer überrascht. Das Licht verändert sich, die Atmosphäre verdichtet sich. Die urwaldige Umgebung, in der wir inzwischen angekommen sind, bekommt etwas Magisches. Die Szenerie hat etwas von einem Capriccio, wie es die italienische Malerei im 17. Jahrhundert geprägt hat. Dieser Kunststil der Landschaftsmalerei bringt Gebäude, Ruinen und andere architektonische Elemente in rätselhaften und oft fantastischen Kombinationen zusammen. Wieder eine Herausforderung für mich, die Stimmung ins Bild zu bannen. Ich betrachte Hintergrund in Relation zu Vordergrund. Ich trete von links nach rechts, gehe in die Knie und drehe mich um. Die weißen Quader wirken hier so fehl am Platz und doch üben sie eine Kraft auf das Auge aus. Ich will die richtige Balance finden, zwischen den Blöcken und dem wilden Grün. Eine Komposition, die die merkwürdige Spannung dieses Ortes für immer im Bild einfriert.
KC – Dschungel – fotografiert auf Museum Insel Hombroich
KC – Ruhe im Regen – fotografiert auf Museum Insel Hombroich
Sehen – Denken – Positionieren
Am Ende des Tages habe ich Lehrgeld gezahlt: Ich bin erschöpft vom Sehen, Denken, Positionieren, Einstellen, andere Varianten und neue Perspektiven suchen, ums Motiv herum oder in die Knie gehen… Was Peter in seinen Beiträgen übers Fotografieren und in seinen individuellen Fotokursen unermüdlich immer wieder klar macht, erinnert mich an den Lehrsatz von Ansel Adams. „You don’t take a photograph, you make it“, hat der amerikanische Landschafts- und Naturfotograf, der die Schwarz-Weiß-Fotografie geprägt hat, einmal gesagt.
Mascha Kalekos Sommergedicht endet mit den Zeilen: „Die Weckeruhr rasselt. Der Plan wird verschoben. Behutsam verpackt man sein kleines Ideal. Einmal aber sollte man… (Siehe oben.)“ Als wir am Ausgangspunkt unseres Foto-Spaziergangs wieder ankommen, bin ich froh, einmal geflüchtet zu sein. Es war trotz der Anstrengung erholsam für Geist und Seele – und ich bin um viele Eindrücke reicher. Herzlichen Dank, lieber Peter, für die kleine Auszeit mit guten Gesprächen und Profi-Tipps – auch wenn ich mit sicher bin, dass ich das Duell gegen dich klar nach Punkten verliere.
KC – Spiegelung – fotografiert auf Museum Insel Hombroich
Peters Ergänzung
Liebe Kira, Du hast unseren Ausflug zur Museum Insel Hombroich in Worte und Bilder gefasst. Ich finde mich in Deinen Erfahrungen wieder. Wir haben die fotografische Entdeckung gemeinsam unternommen und keiner von uns konnte etwas verlieren, nur gewinnen. Deine Fotografien zeigen Deinen eigenen Stil, meine Fotos spiegeln meine Sichtweise. Dein Blick auf die Insel ist gelungen. Deine Bilder sind von bestechender Schlichtheit, zeigen genau so viel, um sich selbst ein Bild zu machen.
Ich habe an dem Tag sehr viel Spaß gehabt und viel gelernt. Zu zwei Deiner Fotos weiter unten im Beitrag habe ich keine Pendants. Dein Foto Architektur und Natur zeigt denselben Baum, den ich auch in schwarzweiß fotografierte.
Was Deine Fotos und Deinen Bericht angeht: Das ist ganz großes Kino, vielen Dank!
Unseren besonderen Dank an die Museumsinsel Hombroich!
Gedichte von Mascha Kalekos >>
Making Of – *fotowissen Duell-Shooting “Kleine Fluchten” auf Museum Insel Hombroich
- Max. Höhe 144 cm, Gewicht: 1,65 kg, Belastbarkeit: 12 kg
- Beine um 180° nach oben klappbar
- Praktische Klappverschlüsse für festen Halt
© Kira Crome, Umwelt Journalistin und Peter Roskothen, Profi-Fotograf, Fototrainer, Fotojournalist – *fotowissen Duell-Shooting #4 – Kleine Fluchten – Museum Insel Hombroich
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Liebe Frau Crome,
ich bin echt entzückt! Das Lesen des Artikels ist kurzweilig und informativ zugleich, darum habe ich es mir auch gleich zweimal reingepfiffen. Die teils süffisante Art zu schreiben, und der auf mich im Tagebuch-Stil wirkende Verlauf, das spricht mich sehr an.
Das Thema “Perspektiven” in den Mittelpunkt zu stellen, und die Motive oder technische Vorgaben eines “Duells” dem hinten an zu stellen, empfinde ich als anspruchsvolle Aufgabenstellung! Und ich möchte sagen, es ist gelungen. Für mich als Betrachter wird deutlich, dass das Hauptthema in den Fotos Bedeutung hat, und es sind ja auch eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher und spannender Perspektiven eingenommen worden.
Die Fotos finde ich allesamt klasse, möchte mir aber jeweils eins von ihnen beiden herauspicken, quasi als meine “Siegerfotos”. Bei den Bildern von Peter habe ich mich für “Heaven´s Door” entschieden. Es ist schon eine sehr ungewöhnliche Perspektive, diese liebliche Brücke in der Natur durch eine halb geöffnete, doppelflüglige Stahltür zu fotografieren. Der schräge Baum scheint Tür und Brücke auch noch auf eine Art irgendwie zu verbinden, so jedenfalls mein Eindruck. Ein wirklich tolles Foto!
Bei den Fotografien von ihnen habe ich mich für “Blick nach oben” entschieden. Senkrecht nach oben zu fotografieren ist ja per se schon eine super seltene Perspektive, und die Motivwahl ist genial! Mich spricht auch die konsequente Symmetrie des Fotos an, wie auch das abnehmende Licht von der Mitte zu den Rändern. Das fast schon Diffuse, aber die dennoch erkennbare Konturen, das ist für meine Augen herrlich anzuschauen!
Ihnen, sehr geehrte Frau Crome, und dir, lieber Peter meine Anerkennung und Respekt für den herrlichen Beitrag, die tollen Ergebnisse und die Tatsache überhaupt, sich einem kritischen, kompetenten Publikum damit zu präsentieren. Denn das ist das eigentliche Duell… ;-)
Herzlich grüßend,
Dirk Trampedach
Danke Dirk,
eine sehr gute Analyse. Ich schätze Deine Meinung, nicht zuletzt, da wir beide auch schon beim Duell-Shooting waren. Kira wird sich Deinen Kommentar sicher auch sehr gerne ansehen.
Herzlich, Peter
Liebe Kira, sehr interessante Fotos und Bilder. Hat mich berührt. Liebe Grüße Angelika Becker
Ich möchte mich Dirk Trampedach vollumfänglich anschliessen.
Wirklich gut gesehene Motive und sehr gute Gestaltung.
Die sehr gelungenen Fotos sind eine Augenweide.
Danke fürs Zeigen und den den Betrachter “mitnehmenden” Text.
Gruß
DWL
Nebenbemerkung:
Der Begriff des “Foto-Duell” ist zwar griffig und keineswegs ernst gemeint – aber die bisher gezeigten Folgen dieser interessanten Serie erscheinen mir (ganz besonders hier bei dieser Folge) eher ein “Duett” zu sein.
Beim Duell bleibt stets einer auf der Strecke – beim Duett handelt es sich um ein konstruktives Zusammenspiel, bei dem beide Spieler und auch das Publikum das Ergebnis genießen und zumeist auch dazulernen….
herzliche Grüße
DWL
Liebe Frau Crome!
Ein wirklich toller Bericht, der mich anspricht, mitnimmt, amüsiert und den ich gern mehrfach gelesen habe! Sie haben eine wundervolle Art zu schreiben, den Leser in Ihren Bann zu ziehen und teilhaben zu lassen. Die Museumsinsel ist ein gut gewählter Ort für das Duell, Sie selbst beschreiben ja die Vielfältigkeit der sich eröffnenden Szenerien, die Sie immer wieder vor neue fotografische Herausforderungen stellt. Auch ich war dort sehr gefesselt vom Zusammenspiel aus Architektur, Kunst und Natur. An viele der hier gezeigten Perspektiven kann ich mich, rückblickend auf meinen eigenen Besuch dort vor Jahren, noch gut erinnern. Ich fühlte mich seinerzeit auch ziemlich gefordert, um es milde auszudrücken ;-)
Ich kann mich bezüglich der Fotografien meinen Vor-Schreibern nur anschließen, Sie haben ein gutes Auge und Gespür für Motive und Perspektiven. Aber ich finde auch, dass Sie eine wahre Wortkünstlerin sind. In diesem Sinne freue ich mich auf weitere Beiträge von Ihnen und verbleibe mit einem
Herzensgruß,
Maike Lehmann
Lieber Peter,
hiermit fordere ich zum Duell auf, Hirschbrunft, freie Wildbahn im Süden von Ungarn, September 2021…!!!!
Tiere und dann Rotwild, in freier Wildbahn zu fotografieren, ist eine ganz eigene Art der Entspannung, denn wenn so ein mächtiger Rothirsch, laut röhrend in ca. 15-50 Meter aus dem Nichts vor dir auftaucht, du selber völlig getarnt in deinem Versteck wartest und ich spreche nicht von einem Tarnzelt sondern von Körpertarnung komplett, dann durchströmt dein gesamter Körper innerhalb von Millisekunden eine Spannung die an Eindrücken wie, Konzentration, Anspannung und innere Schönheit/Zufriedenheit sowie einem irren Glücksmoment kaum zu überbieten ist…..so erlebe ich es Jahr für Jahr…:-))))))
Ach so, der Gewinner ist nicht der mit dem “besten Foto” der Gewinner ist derjenige wo das frei lebende Tier dich in keiner weise mitbekommt, dass ist die große “Kunst” frei lebende Tiere zu fotografieren !!!!!…für mich..
Ich freue mich schon irre darauf, dich bald zu treffen und wieder so so viel von dir zu lernen…Du bist ein total KLASSE Typ !!!!!!
Halt Dich grade … bis bald…beste Grüße Frank..
Lieber Frank,
Die Komplimente kann ich nur zurückgeben. Vielen Dank für die Einladung und ich freue mich darauf.
Herzlichen Gruß,
Peter