Alt werden ist wie Bergsteigen.
Je höher man kommt, umso mehr lassen die Kräfte nach.
Aber umso weiter sieht man.
Ingmar Bergmann
Inhaltsverzeichnis
- Fotografie im reifen Alter – Eine neue Perspektive
Fotografie im reifen Alter – Eine neue Perspektive
Mit einem solchen Spruch hätte man mich zu meinen alpinistischen Zeiten die Steilwand hochjagen können. Wenn man auf einem überwechteten Grat jeden Schritt hoch konzentriert ausführen muss, wenn man jeden Griff abklopft, schaut man nicht in die Weite. Das Gipfelerlebnis ist zudem kurz, denn der Aufstieg ist nur der halbe Weg.
Heute und mit der Distanz der Jahre kann ich jedoch den Wahrheitsgehalt dieser Analogie erkennen. Inzwischen steige ich nur noch selten auf Berge und richte mich dabei nach meinem Alter und den entsprechenden Möglichkeiten.
Ich erinnere mich zwar noch an die Marke meiner früheren Kamera, die genaue Typenbezeichnung ist mir jedoch entfallen. Ich habe höchstens im Automatikmodus fotografiert, zur Dokumentation im Beruf, oder auf Expeditionen. Das Ergebnis war dabei zweitrangig. Am Berg war jede Kamera im ohnehin gewichtsoptimierten Rucksack ohnehin zu schwer, mit Ausnahme einer winzigen Canon Ixus, die gelegentlich noch Platz fand.
Die unerwartete Entdeckung: Fotografie als Schlüssel zum Neuanfang
Als die Corona-Pandemie alle meine Reisevorhaben und fix geplanten Unternehmungen abrupt beendete, hatte ich das Glück, durch ein einziges Foto den Zugang zur Fotografie zu finden. Heute möchte ich mich als ambitionierten Amateurfotografen bezeichnen und auf diese Passion nicht mehr verzichten, weil sie mehr und mehr die alte Outdoor-Leidenschaft ersetzt und auch weil, nunmehr fünf Jahre später, mein allgemeines Altern deutlicher wird. Fotografieren wurde und ist ein Schlüssel, um diese Veränderungen positiv zu bewältigen.
Altern als Chance – Reflexion, Neuorientierung und kreative Selbstverwirklichung
Älter werden ist die natürliche Anpassung an biologische, psychische und soziale Veränderungen, denen wir im Laufe des Lebens begegnen. Abhängig von unserem Lebensstil und der persönlichen Denkweise erleben wir diesen Prozess unterschiedlich.
Kaum jemand wird in unserer Gesellschaft gerne alt und wir unternehmen viel Sinnvolles und auch Unsinniges, um dem entgegenzuwirken. Das Alter ist aber nicht nur eine Herausforderung im Sinne zunehmender Einschränkungen, sondern bietet auch Chancen zur Reflexion, Neuorientierung, und kreativer Selbstverwirklichung.
Der Übergang in diese Lebensphase kann am besten gelingen, wenn er aktiv gestaltet wird und körperliche, geistige und soziale Aspekte einbezieht. Es geht darum, für sich einen Sinn zu finden, um diesen Lebensabschnitt erfüllend und bereichernd zu erleben. Ob wir uns in Vereinen sozial engagieren, ein Instrument oder Sprachen lernen, ob wir in einer Weise handwerklich oder künstlerisch tätig werden oder einen vollkommen anderen Bereich wählen, bleibt uns überlassen.
Fünf Wege, wie Fotografie Körper, Geist und Seele stärkt
Gerade ältere Menschen vertiefen in der Fotografie eine vielleicht bereits bestehende Faszination oder entdecken damit ein ganz neues Betätigungsfeld. Die Fotografie bietet ein umfangreiches Spektrum unterschiedlicher Disziplinen und kann eine wichtige Rolle im Leben älterer Menschen einnehmen. Sie bringt sowohl gesundheitliche wie auch soziale und psychologische Vorteile mit sich.
An dieser Stelle liste ich einige Punkte aus meinen eigenen Erfahrungen der letzten Jahre auf.
1. Fotografie zur Erhaltung geistiger Aktivität
- Fotografieren fördert kognitive Fähigkeiten durch die Beschäftigung mit Komposition, Licht, Farbempfinden, Perspektiven.
- Die Auseinandersetzung mit Kameratechnik, das Wissen um Objektive und deren Einsatzbereiche kann helfen interessiert und geistig fit zu bleiben.
- Computer und Bildbearbeitungsprogramme fördern die Auffassungsgabe und fordern die Lernbereitschaft.
- Lesen von Sachbüchern
2. Fotografie zur körperlichen Betätigung
- Landschaftsfotografie, Wildlifefotografie oder Street Fotografie (…) motivieren dazu, hinauszugehen, sich den Verhältnissen anzupassen und sich entsprechend zu verhalten.
- Man legt auf Motivsuche mehr oder weniger unbemerkt größere Strecken zurück.
3. Fotografie und soziale Bindung
- Interaktion und Austausch in Fotoclubs, Online-Plattformen oder bei Fotowalks mit Freunden.
- Dokumentation von Gemeinsamkeit, z. B. als Gruppen- oder Familienarchiv.
- Fotobücher als Tagebücher bestimmter Lebensabschnitte.
4. Fotografie als künstlerischer Ausdruck
- Verwirklichung geplanter Projekte und Ideen.
- Entdecken der eigenen Kreativität.
- Experimentierfreude und Mut zu Neuem.
5. Fotografie und Achtsamkeit
- Andere Wahrnehmung der Umwelt, der Blick wird geschärft.
- Das bewusste Beobachten von Motiven kann eine beruhigende Wirkung haben.
- Konzentriertes Arbeiten im Heimstudio mit fast meditativer Wirkung.
- Entschleunigtes Fotografieren. Zuerst schauen, dann fokussieren.
Fotografie im Hier und Jetzt – Das Geheimnis eines erfüllten Alterns
Fotografie ist ein komplexes und vielseitiges Medium. Vorausgesetzt, man unterwirft sich nicht erneut einem Leistungsdruck, kann die Fotografie unser Selbstbewusstsein und unsere Zufriedenheit stützen.
Wir benötigen Zeit, uns stetig weiterzuentwickeln, und in der Fotografie braucht es Übung, Geduld und die Bereitschaft zu kontinuierlichem Lernen. Das passt zusammen. Fotografieren ist weit mehr als das Drücken des Auslösers, das Festhalten von Bildern.
Gerade in unserer Zeit, in der eine tägliche Überflutung mit kaum noch wahrnehmbaren Bildern die Regel ist, darf die Freude an einem gelungenen, selbst belichteten Foto überwiegen. Wir müssen uns nicht auf eine bestimmte Disziplin festlegen, sondern können ausprobieren, welches Genre uns besonders liegt. Fotografie ist Inspiration und Motivation zu Neuem und kann helfen aktiv und aufmerksam zu bleiben.
Das Geheimnis des erfüllten Alterns ist vielleicht, sich nicht auf das zu konzentrieren, was nachlässt und vergeht, sondern auf das, was noch wachsen kann. Das ist positives Denken. Fotografie im Hier und Jetzt.
© Michael Guggolz – Fotografie im reifen Alter – Eine neue Perspektive
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Lieber Michel,
habe Dank für deinen extrem guten Artikel zu einem extrem guten Thema!
Wir können hier bei *Fotowissen.eu sicherlich viele Themen aufgreifen, die immer nur bestimmte Kreise interessieren oder betreffen. Das hier ist aber das Thema überhaupt (also das mit der Zellteilung…), denn es sollte uns als Mensch grundsätzlich interessieren, die Prozesse werden vor niemandem Halt machen. Es in Einklang mit der Fotografie zu stellen, gefällt mir sehr gut.
Mit dem Thema „Endlichkeit“ beschäftige ich mich seit Jahrzehnten. Wirklich unbeantwortet blieb mir die Frage, wann „Alter“ denn nun beginnt. Wenn ich z.B. danach gefragt werde, wann jemand alt ist, gehört zu meinen Standardantworten: „Wenn man keine Phantasie mehr hat“. Das ereilt manche Menschen früher, manche später.
Beim Lesen deiner Zeilen kam mir jedenfalls auch die Frage in den Sinn nach dem einen, ultimativen Foto, was dich an die Fotografie gebracht hat. Solche Urknall-Geschichten sind faszinierend.
Mich freut, ein wenig dabei sein zu dürfen, wie du mit den Dingen der Zeit umgehst, und ich durfte ja auch schon viele deiner fantastischen Fotografien sehen. Es scheint, du hast „deins“ gefunden, wie schön!
Fotografie eine geniale Leidenschaft, um durch die Epochen hindurch sich selbst begleiten zu können, und letztendlich ist es auch eine sehr persönliche Art des individuellen Ausdrucks. Für alles, was du damit auf die Beine stellen wirst, wünsche ich Dir den entsprechenden Forschergeist, gutes Gelingen, und das etwas Beglückendes entstehen möge!
Freundschaftliche Grüße, Dirk
p.s.: „Lass die Fotos frei…“ ;-))
Lieber Dirk,
Danke fürs Zurückschreiben und deine guten Wünsche.
Ich denke, früher oder später beschäftigen sich differenzierte Menschen mit diesem Thema. Sei es durch einen besonderen Anlass, sei es durch das sich bewusst werden, dass Zeit mehr und mehr zur „Lebenszeit“ wird. Älter werden läuft für mein Empfinden in Schüben ab und dein Satz: alt ist man, wenn man keine Phantasie mehr hat, könnte zutreffen. Das werden wir sehen… aber einen Teil dieser Zeit mit Sinnvollem zu verbringen ist in jedem Fall eine gute Aufgabe. Fotografie bietet hier viele Möglichkeiten und mich freut dabei, dass man diese mit anderen teilen kann. Das macht Freude und motiviert gegenseitig. Wir werden unsere Fotos weiterhin teilen.
Herzlichen Gruß,
Michel