Der Hambi, seit 10 Jahren besetzter Wald, in einem neuen Fotobuch Forst von David Klammer:
Inhaltsverzeichnis
Hambi bleibt
„Hambi bleibt!“ Ein Schlachtruf, der seit einiger Zeit aus einem kleinen Wäldchen zwischen Aachen und Köln in die Welt schallt. Vor zehn Jahren, Mitte April 2012, begann die Besetzung des Hambacher Waldes, um ihn vor Braunkohletagebau, Profitinteresse und Zerstörung zu bewahren. Der renommierte Fotojournalist David Klammer begleitet die Protestaktionen seit vielen Jahren. Seine Fotografien aus dem „Hambi“ sind ein Zeitdokument in der Reihe der großen Protestbewegungen in Deutschland. David Klammers Bilder sind die eines sensiblen Beobachters, der auch mit seinen sechzig Jahren nicht davor zurückschreckt, in hohe Bäume zu klettern, um das Leben in Baumhäusern festzuhalten. Nun sind seine Aufnahmen, gerade rechtzeitig zum Juliläum in dem Bildband FORST in der Edition Bildperlen erschienen. www.bildperlen.de/forst
Aufbruch und Sehnsüchte
Auf 144 Seiten erzählt der Kölner Fotograf, Mitglied der exklusiven Bild- und Reportageagentur laif.de, in eindrücklichen Bildern vom Alltag im Hambacher Wald, von Protest und Aufbruch, Sehnsüchten und Enttäuschungen der „Waldmenschen“, wie sich viele der Protestierenden nennen. In Essays kommen sie im Buch zu Wort und treten damit auch in einen Dialog mit David Klammers Fotografien. Beim Betrachten seiner Fotos entsteht ein Eindruck davon, wie vielschichtig die Motivationen der Waldbesetzer sind, welchen Idealen sie folgen und wo Realität und Utopie sich bisweilen gegenüberstehen.
Ein vielschichtiges Bild des Waldes
David Klammer setzt in seinem Buch collagenartig verschiedene fotografische Bildstile ein. Klassische Reportagefotografie wechselt sich ab mit Schwarz-Weiß-Porträts, Wärmebildaufnahmen und künstlerisch gestalteten Vogelperspektiven. So entstehen mehrere Erzählebenen, die ein vielschichtiges Bild des Waldes, der Menschen und der Ereignisse während der Waldbesetzung zeichnen. Dabei lässt Klammer immer auch Spielraum für Interpretationen. Gerade die Thermalfotos, die mit einer Spezialkamera fotografiert wurden, die nur auf Wärmestrahlung reagiert, haben eine fast geisterhafte Atmosphäre.
Barrikaden zu Blumensträussen
Andere Fotos, mit einer DJI Mavic 2 Pro aufgenommen, zeigen die Barrikaden der Besetzer aus der Vogelperspektive in schwarzweiss. Dadurch ähneln sie in ihrer Abstraktion fast schon Blumensträussen. Es hat lange gedauert, bis Klammer das Vertrauen der eingeschworenen Gemeisnchaft von Besetzer.innen und Klimaaktivist.innen gewann. An manchen Tagen sass er nur mit ihnen am Lagerfeuer oder oben auf einem Baumhaus – ohne zu fotografieren. Seine Kameras, zwei Fujifilm X-Pro 2 mit den Festbrennweiten 1,4/16mm, 2/23mm und 1,2/56mm hatte er immer dabei. Ihm kam es sehr entgegen, dass Kameras und Objektive des Fuji Systems unscheinbar dezent und “nicht bedrohlich” sind. Gerade auch beim Baumhausklettern musste er sich auf seine leichte und kompakte Ausrüstung verlassen können, um nicht mehr Ballast als nötig im Rucksack zu haben. Auf künstliche Lichtquellen wie Blitzlicht verzichtete Klammer grundsätzlich, um die Stimmung nicht zu zerstören, aber auch, um icht aufdringlich zu sein. Gerade in den nahen Momenten kam ihm auch der unhörbare elektronische Verschluss der DSLM entgegen. Klammer war bei seinem Projekt stets mittendrin statt nur dabei. Trotz aller Nähe und Sympathie für die Klimaaktivist.innen ist es Klammer wichtig, journalistisch sauber zu arbeiten und eine ethische Distanz einzuhalten, um nicht als Propagandawerkzeug zu dienen.
Immer zeigte er die Fotos den Besetzer.innen bevor er sie in die Auswahl für sein Fotobuch aufnahm. 2019 erhielt Klammer beim renommierten Presse-Fotowettbewerb “Rückblende, Preis für politische Fotografie” den 1. Preis in der Kategorie Reportage. Und dann arbeitete er noch bis 2021 in dem kleinen Wäldchen gleich neben dem Braunkohletagebau Hambach.
Nur noch ein Teil des ursprünglichen Forsts
Der heutige Hambacher Wald stellt nur noch einen Teil des ursprünglichen Forsts dar. Im Verlauf der Jahrhunderte, aber auch durch Rodungen seit den 1970er-Jahren reduzierte sich die Fläche immer weiter. „Aber ohne die mutigen Menschen, die seit 2012 den verbliebenen Wald bewohnen und schützen, hätte sich sicherlich kaum jemand für den Wald zwischen Aachen, Köln und Düsseldorf interessiert“, schreibt der Aachener Waldpädagoge Michael Zobel. Auch wenn der Wald numehr vor Rodung geschützt ist, geht s ihm schlecht. Die Böden, Wasserspeicher, sind durch die Pumpen von RWE ausgetrocknet, die langen Dürrephasen im Sommer geben den Bäumen den Rest. So wird auch der Rest des einzigartigen Hainbuchen-Mischwaldes vermutlich keine Zukunft habe.
Auch Lebensraum und Zuhause
Tim Becker, Sozial- und Kulturwissenschaftler aus Daun, spürt dem Phänomen des Waldes nach:
„Wir Deutschen pflegen eine besondere Beziehung zu unserem Wald. Spätestens seit der öffentlichen Debatte um das Waldsterben in den frühen 1980er-Jahren ist er Gradmesser für unseren Umgang mit schädlichen Umwelteinflüssen.“ Becker führt hier auch die Auswirkungen auf die Gesellschaft an: „In einer Welt, die in zunehmendem Maße von komplexen Entwicklungen bestimmt wird, sehnen sich Menschen nach einfachen Lösungen. Der Wunsch nach einem gemeinsamen, einfachen, umweltgerechten Leben, in dem die Natur nicht unseren Interessen geopfert wird, wird lauter. In intentionalen Gemeinschaften verbinden sich Menschen auf Zeit, um ein solches Leben zu erproben.“ Das formuliert der Waldmensch Ahorn so: „Ich denke, dass der Hambi über die Zeit zu einem Ort geworden ist, der etwas hat, was man woanders nicht findet, dass sich hier zum Beispiel viele Leute geborgen oder zum ersten Mal angenommen fühlen. Deswegen ist es für mich ja auch nicht nur Besetzung und Kampf, sondern auch Lebensraum und Zuhause.“
Es liegt an uns
Nun, nach 10 Jahren Besetzung, stellt sich natürlich die Frage, was hat das alles gebracht? Der Hambi bleibt erhalten, aber wie kommen wir an die Energie, die wir für unseren Lebensstandard benötigen? Erst recht in Zeiten des Krieges in der Ukraine: Müssen wir umdenken, woher wir Öl, Gas, Strom beziehen? Wieviel wir davon verbrauchen? Die Temperaturen in der Arktis steigen rasant an, die Flutkatastrophen an der Ahr und anderswo haben gezeigt, ein katastrophaler Klimawandel scheint unausweichlich. Es liegt an uns.
Der Dummy (Prototyp) seine Buches kam beim Kassel DummyAward auf die Shortlist. Bis September sind einige seiner Arbeiten auch in der grossen Fotoausstellung “40 Jahre laif // 40 dokumentarische Positionen zur Fotografie” im Kölner Museum MAKK zu sehen. Dort hängen neben der Arbeit FORST u.a. auch Fotografien von Bettina Flitner, Jan Grarup, Manfred Linke, Andreas Teichmann, Peter Granser und anderen herausragenden Foto-Chronist.innen unserer Zeit.
Das Buch FORST kann ab sofort beim Verlag Edition Bildperlen für 45,00 Euro bestellt werden. Natürlich auch bei Amazon.de.
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