Meine persönliche, fotografische Herausforderung für dieses Jahr ist die Auseinandersetzung mit der Straßenfotografie. Beim Stöbern in den bekannten Fotobuchverlagen stieß ich auf David duChemin und sein neuestes Werk. „Die Seele der Kamera…“ Schon der Titel machte mir Hoffnung, hier Antworten auf meine fotografischen Fragen in diesem Genre zu finden. Ihr konntet meine ersten Aufnahmen aus den Straßen Hongkongs hier sehen und mich beschäftigen seither Dinge wie: Wann erzählt ein Foto eine Geschichte? Wann spricht es mich an? Wann stellt es eine Verbindung zum Betrachter her? Wie kann ich es gestalten (respektive aufbauen), damit es den Betrachter in den Bann zieht? Wann hinterlässt meine Fotografie einen bleibenden Eindruck? Fragen über Fragen, auf die ich mir beim Autor David duChemin Antworten erhoffte!
Inhaltsverzeichnis
David duChemin: Die Seele der Kamera … und die Rolle des Fotografen. dpunkt.verlag
Da der Autor ganz wunderbare, fotografische Weisheiten formuliert, nehme ich einige davon nun als Überschriften, um einen kurzen Überblick zu geben.
Wir sind es, die das Menschsein, die Vorstellungskraft und die Poesie in unsere Fotos legen.
Laut duChemin birgt jedes Foto die Möglichkeit in sich, den Betrachter in seinen Bann zu ziehen. Jedes Foto kann eine Botschaft vermitteln und sei es „Schau her!“ oder „Oh Gott wie schön!“. Aber es reicht auch aus, wenn das was das Foto ausdrücken soll, einfach und menschlich ist. Im Foto muss irgendetwas zu finden sein, dass wir mit uns selbst in Verbindung bringen können. Sonst fehlt ihm die Seele, die Emotionen, die Aussage und die Anziehungskraft. Wir alle wissen, dass Bilder Geschichten erzählen können, dies gelingt allerdings nur, wenn wir selbst auch etwas zu erzählen haben.
Jetzt ist es an der Zeit, sich um das zu kümmern, was bessere Fotos bringt: den Fotografen selbst.
In einigen Kapiteln befasst sich der Autor David duChemin mit der Rolle der Technik. Wer hier jedoch Aussagen zum Zusammenspiel von Blende, Zeit, Schärfe, ISO oder sonstwas erwartet, liegt völlig falsch. Hierzu verliert der Autor im gesamten Buch kein einziges Wort. Allerdings macht er sehr deutlich, dass wir unsere technischen Möglichkeiten (und natürlich die der Kamera) ohne nachdenken zu müssen, beherrschen sollten. Nur so kommt man seiner Meinung nach beim Fotografieren in einen Flow, indem sich die Kreativität frei entfalten kann. Man sollte den kreativen Prozess nicht dadurch begrenzen oder einschränken, dass man über technische Details nachdenken muss oder gar Einstellungen suchen muss. Somit legt der Autor den inhaltlichen Schwerpunkt seines Werkes auf die intensive Auseinandersetzung mit den Bildinhalten.
Bei der Kreativität geht es um zwei Dinge: unsere Art zu denken und wie wir diese Gedanken in die Tat umsetzen.
Der Autor regt dazu an, sich immer wieder aus der eigenen Komfortzone heraus zu begeben. Sei es, neue Sportarten zu erlernen oder sich mit verschiedenen Genres der Kunst auseinanderzusetzen. Hier beschreibt er, dass er sich in Bezug auf das Fotografieren z.B. regelmäßig Bilder anderer Künstler anschaut und diese hinsichtlich der Bildgestaltung analysiert. So wird man immer flexibler im Denken und gestalterische Elemente gehen ins Blut über, so dass man auch hier intuitiv handeln kann und sich nicht zu viel aktive Gedanken im Prozess machen muss. Auch duChemin ist ein Verfechter der These, dass Regeln zwar bekannt sein sollten, aber daraus nicht zwingend ein striktes Befolgen der Regeln (z.B. des Bildaufbaus) folgt. Viel mehr Wert legt er auf das aufmerksame Sehen von Szenen und die Geduld, den richtigen Moment abzupassen und einzufangen.
Jeder Zugewinnen an Schärfe oder Dynamikumfang macht eine Geschichte nicht besser als dies eine moderne Schriftart bei einem Gedicht täte.
DuChemin geht sehr ausführlich auf das Thema „Geschichte“ ein und formuliert 5 Aspekte, die hierzu im Foto eine Rolle spielen (können). Meines Erachtens ist die das Herzstück des Buches, um welches der Autor die verschiedenen Aspekte (Technik, Bildaufbau, Geduld, Motivation, Publikum, …) gruppiert. Trotz der relativ theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema gelingt es dem Autor, immer wieder den persönlichen Bezug herzustellen. Er wird nicht müde den Leser darauf zu verweisen, dass er sich beim Fotografieren auf die eigene, innere Beteiligung konzentrieren sollte. Daher lautet auch sein abschließendes Fazit:
Ohne Liebe geht es nicht.
„Wir brauchen Bilder, die uns wachrütteln, die unsere schönsten Erinnerungen hervorholen, helfen die schweren Fragen zu fragen oder zu verstehen. Wir brauchen Bilder, die uns aus der Langeweile, Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit losreißen. Das Leben ist zu kurz und zu kompliziert, um auf etwas so Wichtiges und Menschliches zu verzichten“ (Seite 195). Ich denke, mehr ist dem im Rahmen einer Rezension nicht hinzuzufügen, denn ich möchte ja schon auch anregen, das Buch selbst zu lesen! ;-)
Mein persönliches Fazit
Dieses Buch spricht sicher nicht jeden an. Wer technische Tipps, Tricks oder Anregungen und Kniffe sucht, wird hier nicht fündig werden. Aber, es ist ein Buch für jeden, der sich fragt, warum Aufnahmen wie wirken können und warum sie dies eben nicht immer tun. Ich persönlich mag duChemins Schreibstil und fühle mich von seinen Weisheiten angesprochen und berührt. Es ist kein Buch, das man nebenbei lesen kann, denn der Autor schreibt durchaus in vielfältig verschachtelten Sätzen. Von daher kann ich jedem empfehlen, sich vor dem Kauf eine Leseprobe… (z.B. diese…)
… auf der Verlagsseite zu Gemüte zu führen. Für mich hat sich der Kauf ohne Einschränkungen gelohnt und ich kann es nur empfehlen. Die sw Aufnahmen duChemins sind traumhaft schöne Portraits, die sich anzusehen ebenfalls lohnen. Von meiner Seite aus: Daumen hoch!
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@Maike – Du hast schön beschrieben, worin es in dem Buch geht. Es geht nicht um Technik, die muss sowieso sitzen. Es geht um das Loslassen, das Scheitern, den offenen Kopf und um viel Übung. Dabei entstehen vielen Fehlaufnahmen, die aber nötig sind.
Es handelt sich offensichtlich um ein ganz fabelhaftes Werk zur Fotografie, welches aber schon ein wenig weise, philosophisch, und von ganz anderem Ansatz ist, als andere Publikationen. Ein toller Tipp von Dir, danke!
„Die Tatsache , dass eine technisch fehlerhafte Fotografie gefühlsmäßig wirksamer sein kann als ein technisch fehlerloses Bild, wird auf jene schockierend wirken, die naiv genug sind, zu glauben, dass technische Perfektion den wahren Wert eines Fotos ausmacht.“ Andreas Feininger.
;-)