Buchempfehlung Willy Ronis by Willy Ronis – The Master Photographer’s Unpublished Albums“, (engl. Ausgabe, Flammarion, Paris 2018)
Inhaltsverzeichnis
Rezension Willy Ronis by Willy Ronis
Auch wenn Welt- und Zeitläufte derzeit sehr unerfreulich sind, sollte sich der Mensch gelegentlich etwas Gutes tun. Daran dachte ich, als ich das voluminöse Fotobuch „Willy Ronis by Willy Ronis – The Master Photographer’s Unpublished Albums“ durchblätterte. 600 Seiten geballte Fotokunst für 75 Euro; nicht billig, aber der abgedroschene Satz gilt: Qualität hat ihren Preis.
Ich muss gestehen, dass ich bis vor wenigen Monaten mit dem Namen Willy Ronis nicht viel anfangen konnte. Dann starb am 28. Dezember 2021 Sabine Weiss, eine schweizerisch-französische Fotografin, im Alter von 97 Jahren. Die New York Times schrieb in einem großen Nachruf, Weiss sei die letzte Vertreterin der humanistischen Schule der Fotografie gewesen, zu der auch Ronis und Robert Doisneau gehört hätten. Fortan hatte ich Ronis im Blick.
Wer ist der Fotograf Willy Ronis
Bei Wikipedia (engl./frz.) finden sich ausführliche Informationen zu dieser Richtung. Sie entstand in den 1930er und 40er Jahren und wurde vor allem in Europa und hier speziell in Frankreich aufgegriffen. Thematischer Schwerpunkt sind gewöhnliche Leute, ihr Leben und ihr Lebensumfeld. Ronis hat seine „fotografische Philosophie“ so zusammengefasst: „Ich habe niemals das Ungewöhnliche, Einmalige verfolgt, sondern vielmehr die typischsten Dinge unserer täglichen Existenz. Eine ernsthafte und leidenschaftliche Suche nach der einfachen Schönheit des täglichen Lebens.“ („Paris, Ronis“, Flammarion, Paris 2018, S. 126, eig. Übersetzung).
Willy Ronis lebte von 1910 bis 2009. Seine ersten Aufnahmen stammen aus den Jahren 1926/27. Mit 20 begann er als Fotojournalist zu arbeiten. Er durchstreifte vor allem Paris und fotografierte auch viel in Südfrankreich, wo er mit seiner Frau ab etwa 1972 lebte. Seine Sozialreportagen, auf die er sich in den 30er-Jahren zunächst konzentrierte, fanden viel Anklang; daneben wandte er sich aber auch dem Leben der „kleinen Leute“ zu, wobei seine Aufnahmen stets seine Sympathien für Benachteiligte und Unterprivilegierte zeigten. Um 2002 herum musste Ronis aus gesundheitlichen Gründen die Fotografie aufgeben. Sein Archiv umfasst mehr als 100.000 Negative und einige Tausend Diapositive.
Im Jahre 1983 vereinbarte Ronis mit der französischen Regierung, gegen die Bereitstellung einer Wohnung in Paris seinen gesamten fotografischen Bestand an den Staat zu übergeben. Da Ronis zu diesem Zeitpunkt aber eine Vielzahl von Projekten umsetzte oder plante und zudem klar war, dass der vollständige Transfer erst nach Ronis‘ Tod stattfinden würde, beschlossen beide Seiten zunächst die Konzipierung von Alben, die einen Überblick über sein Schaffen geben sollten.
Das Buch Willy Ronis by Willy Ronis
Das Buch „Willy Ronis by Willy Ronis“ stellt erstmals die sechs Alben vor. Es enthält 590 vom Künstler selbst ausgewählte Fotografien. Die meisten Fotos zeigen Paris und Südfrankreich. Daneben finden sich Bilder von Reisen z.B. in die USA, nach Italien oder in die DDR. Jeder Aufnahme sind Erläuterungen beigefügt: So gibt es Angaben zum Filmformat; daneben beschreibt Ronis häufig die Komposition des Fotos und gibt gelegentlich Auskunft zu den verwendeten Objektiven. Ferner weist er die staatlichen Stellen präzise an, wie eine Aufnahme beschnitten und gedruckt werden soll.
Ein mich sehr beeindruckendes Foto aus dem Jahre 1948 z.B. zeigt eine Frau, die im faden Gegenlicht des Nachmittags aus einem Geschäft kommend an einer Kreuzung eine große Straße überquert. Ronis schreibt dazu: „Ich machte mit nur geringer Begeisterung zwei Aufnahmen der Straße (ohne die Frau, D.R.). Plötzlich taucht die Frau auf. Meinem Jubel hierüber folgte sofort ein Unsicherheitsgefühl, wie das in solchen Situationen oft vorkommt: Habe ich den Auslöser im richtigen Moment gedrückt?“ Ich denke, viele von uns wissen genau, wovon Ronis spricht.
Im Anhang des Buchs findet sich ein Glossar mit wichtigen Ergänzungen zu Ronis‘ Arbeit. Auf häufigen Modellwechsel legte Ronis offenbar wenig Wert. So benutzte er seit 1937 eine zweiäugige Rolleiflex-Mittelformatkamera (6×6), der er bis in die 50er Jahre treu blieb. Zwischen 1954/55 und 1981 arbeitete er mit französischen Foca-Sucherkameras im herkömmlichen Kleinbildformat von 24x36mm, auf die seine meist mit Leica ausgerüsteten Kollegen mit Überraschung, gelegentlich auch mit Verachtung schauten. Ab 1981 fotografierte Ronis mit einer Pentax-Spiegelreflexkamera, die er 1986 durch eine Minox ergänzte. Zu seinen Objektiven macht Ronis eher knappe Angaben. Die Rolleiflex war mit einem festen 75mm-Objektiv ausgestattet. Bei der Pentax kamen eine 50mm-Festbrennweite sowie zwei Zoomobjektive (28-50 mm; 75-150 mm) zur Anwendung.
„Willy Ronis by Willy Ronis“ ist vor allem ein Buch für Fotograf*innen, die wie ich auch ‚gewöhnliche Menschen‘ in den Mittelpunkt ihrer Fotografien stellen. Doch auch andere können aus den Fotos und Texten lernen. Am wichtigsten erscheint mir aber, dass schon das bloße Durchblättern große Lust macht, mit der Kamera loszuziehen. Manchmal muss sich der Mensch wirklich etwas Gutes gönnen.
© Detlef Rehn – Rezension Willy Ronis by Willy Ronis
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Hallo Herr Rehn,
Wie sie schon schreiben, kein Schnäppchen, aber sicher was Lohnenswertes für auf die Wunschliste. Alleine schon das Beitragsfoto ist einmalig! Danke für den tollen Tipp. Mir sagte der Name auch gar nichts, werde mich nach Rückkehr mal mehr damit beschäftigen.
Liebe Grüße, Dirk Trampedach
Lieber Herr Trampedach,
tun Sie das bitte, unbedingt.
Was den Preis angeht: Amazon Deutschland verkauft das Buch in der frz. Ausgabe für 75 Euro, in der engl. Fassung für 63,14 Euro. Bei Amazon UK ist das Buch für derzeit 43.45 GBP erhältlich, das sind etwas mehr als 51 Euro. In jedem Fall kommt dazu noch das Porto, das aber auch bei einer Bestellung aus England nicht übermäßig hoch sein sollte. Ich habe in England gekauft, der Buchpreis war sogar noch etwas höher, und inkl. Versand nach Japan umgerechnet 75 Euro bezahlt.
Ronis ist jeden Cent wert. Es ist eines der schönsten Fotobücher, die ich besitze. Machen Sie sich doch ein tolles Weihnachtsgeschenk.
Herzlich, Detlef Rehn
Lieber Herr Rehn,
nur eine Ergänzung: England ist nicht zu empfehlen, da es lange dauern und Zollgebühren verursachen kann.
Herzlich,
Peter R.
Lieber Herr Roskothen,
ich kann die Sache für Deutschland nicht beurteilen. In meinem Fall wurde das wirklich sehr voluminöse Buch wahrscheinlich wg. Brexit von Holland verschickt; es brauchte nach Tokio nur neun Tage.
Herzlich, Detlef Rehn